Pariser Kutsche. Lithographie von Gihaut frères nach Loeillot Hartwig, um 1850.

„Fauchende Ungeheuer“ revolutionieren den Reiseverkehr

Postkutschenreisen erforderten vor dem Zeitalter der Eisenbahn in erster Linie viel Geduld, und ein romantisches Erlebnis war die Fahrt auch nicht immer: Im Innenraum quetschten sich in der Regel sechs und mehr Fahrgäste. Außen und auf dem Dach, „hoch auf dem gelben Wagen“, fanden je nach Bauart und Gepäck weitere Personen Platz. Es rumpelte und schaukelte, gepflasterte Wege gab bis weit ins 19. Jahrhundert nur wenige. So entsprach die Durchschnittsgeschwindigkeit mit drei bis vier Kilometern pro Stunde gerade einmal dem Tempo eines flotten Fußgängers. Mancher beklagte es sogar, wie Johann Wolfgang von Goethe, wenn die Kutsche zu schnell fuhr. Zeit spielte noch keine große Rolle. Doch das sollte sich mit der beginnenden Industrialisierung ändern.

Postkutsche im Museum
Preußischer Personenwagen für neun Personen, Museum Beelitz. Die letzte preußische reguläre Postkutsche stellte 1886 ihren Dienst ein (Foto: Kleinert)

1833 hatte der Deutschamerikaner Friedrich List seine Vision eines deutschen Eisenbahnnetzes vorgestellt – und dabei auch schon den Urlaubstourismus im Blick: „Man bedenke nur, wie hoch die Zahl der Bade- und Lustreisenden durch die Bahnverbindungen anwachsen würde.“ Lists Vorbild waren die in Amerika und England mit großem geschäftlichem Erfolg betriebenen Strecken. Zwei Jahre später war es auch in Deutschland so weit.

Gemälde historische Bahnfahrten
Abb. rechts und links: Bahnfahrten um 1840 und 1900. Mitte: Bau der ersten deutschen Lokomotive (für die Strecke Leipzig-Dresden), 1838.

Der Siegeszug der Eisenbahn

Am 7. Juli 1835 trat die „Adler“ (importiert aus England) unter Musik und Kanonendonner mit zweihundert Passagieren die Fahrt von Nürnberg nach Fürth an. Der Zug führte drei Waggons der Ersten Klasse (mit Polsterbänken und Glasfenstern), vier Wagen der Zweiten Klasse (Fenster nur mit Vorhängen) und zwei Wagen der Dritten Klasse (offen und mit Holzbänken). Nach neun Minuten war Deutschlands erste Eisenbahn am Ziel. 1838 wurde die Strecke von Berlin nach Potsdam in Betrieb genommen und im Jahr darauf die 116 km lange Strecke von Leipzig nach Dresden. 1871, im Jahr der Reichsgründung, verfügte Deutschland über ein engmaschiges Schienennetz, über das Lokal- und Fernbahnen, Personen- und Güterzüge mit bis zu 90 km/h rollten.

Engerth-Lokomotive
Engerth-Lokomotive, Museumsbahn (Schweiz, Bj. ca. 1860)

Das Tempo der ersten Eisenbahnen, bei denen die Fahrgäste noch im offenen Wagen saßen, war geruhsam. Dennoch begegnete man den „fauchenden Ungeheuern“ zunächst mit Misstrauen. Ängstliche Gemüter befürchteten eine Explosion der Dampfkessel oder gesundheitliche Schäden durch das „hohe Tempo“ von rund 20 bis 30 km/h.

Andere waren von den „fahrenden Dampfmaschinen“ begeistert, zum Beispiel der Dichter Hans Christian Andersen (1805-1875): „Ich habe mehrere sagen hören, dass durch die Eisenbahnen alle Reisepoesie verschwunden sei. Da bin ich völlig entgegengesetzter Meinung. Gerade in den engen, vollgepackten Reisekutschen ist es, wo die Poesie verschwindet. In der besten Jahreszeit wird man von Staub und Hitze geplagt und im Winter durch schlechte Wege. Oh, welches große Werk des Geistes ist doch die Erfindung des Dampfwagens!“

Vom Reisen zum Verreisen

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts Beamte und später auch viele Angestellte erstmals Anspruch auf mehr Freizeit und Urlaub hatten, schlug dank der Eisenbahn die Geburtsstunde des modernen „Fremdenverkehrs“. Entlang der Strecken und an den Zielorten blühte das Hotel- und Gaststättengewerbe auf. Tausende des noch kleinen, aber aufstrebenden Bürgertums suchten jetzt Erholung in den Luftkurorten und Bädern im Gebirge und am Meer – wie ihre Vorbilder aus Adel und Wirtschaftselite gekleidet in feinstem Zwirn. Sommerfrische, Erholungsurlaub oder Kuraufenthalte wie beispielsweise im Ostseebad Zoppot waren nicht länger das Privileg weniger Wohlhabender.

Kurhaus in Zoppot
Kurhaus in Zoppot (um 1900)

Bereits 1808 wurde im westpreußischen Zoppot ein Kursanatorium eröffnet. Zoppot erwies sich für Erholungssuchende gut geeignet, weil durch den Schutz bewaldeter Höhenzüge es dort wärmer ist als im westlichen Teil der Ostsee. Nach dem Anschluss ans Eisenbahnnetz entwickelte sich Zoppot stetig zu einem mondänen Ostseebad. Zoppot (polnisch Sopot), neun Kilometer westlich von Danzig, ist heute das beliebteste und größte Seebad Polens.

Grand Hotel Zoppot
Grand Hotel Zoppot (2010)
Reisen damals‘-Tipp: Eisenbahnmuseen
Private und staatliche Eisenbahnmuseen gibt es fast überall in Deutschland. (Eine Liste finden Sie auf Wikipedia.) Über besonders sehenswerte Sammlungen historischer Schienenfahrzeuge (und auch Kutschen) verfügen drei Museen:
Deutsches Museum, Münchenwww. deutsches-museum.de
Verkehrsmuseum Nürnberg (DB Museum)www.dbmuseum.de
Deutsches Technikmuseum, Berlinwww.technikmuseum.berlin.de

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