Wie die Madeirer den Tourismus als Wirtschaftsfaktor entdeckten!
Noch im späten 19. Jahrhundert lebte Madeira fast ausschließlich vom Anbau landwirtschaftlicher Produkte wie Wein, Getreide und Zuckerrohr (für dessen Ernte bis in die beginnende Neuzeit hinein bis zu dreitausend arabische und afrikanische Sklaven schuften mussten). Heute ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle: Jährlich verbringen über eine Million Gäste ihre Ferien auf der „Insel des ewigen Frühlings“, von denen viele die Wandermöglichkeiten entlang der „Levadas“ nutzen, der künstlichen Bewässerungskanäle in den ursprünglichen Berg- und Tallandschaften des Nordens. Ob die Wanderfreunde wissen, dass auch die Levadas zum großen Teil von Sklaven gebaut wurden?
Eine nicht unbedeutende Rolle für die Entwicklung des Fremdenverkehrs spielten die „Carros de Costo“, die berühmten Korbschlitten.
Diese Weidenkörbe auf zwei hölzernen Kufen dienten zunächst dem Transport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus der Bergregion oberhalb der Hafenstadt Funchal. Als dann Madeira immer mehr zu einem beliebten Reiseziel insbesondere englischer Touristen wurde, erkannten clevere Madeirer, dass man mit den Korbschlitten nicht nur Säcke und Fässer befördern kann, sondern auch spaßsuchende Engländer. Und Spaß macht den Besuchern der Blumeninsel die atemberaubende Fahrt vom Wallfahrtsort Monte hinunter in die Altstadt von Funchal auf einem schmalen asphaltierten (früher gepflasterten) Pfad auch heute noch.
Die Korbschlittenfahrer – eine nur Männern vorbehaltene Zunft
Die Schlitten werden von je zwei „Carreiros“ gelenkt und bei Bedarf mit Schuhen mit dicken Gummisohlen abgebremst. Nach zwei Kilometern ist die zehnminütige Fahrt vorbei. Die dreißig Kilogramm schweren Schlitten werden dann eingesammelt und per LKW wieder zum Startpunkt in Monte zurückgebracht. Früher geschah das mühsam zu Fuß.
Doch wie sollten damals verwöhnte Touristen den Aufstieg nach Monte bewältigen? Etwa laufend? Impossible! Sie bevorzugten die Beförderung in einer Hängematte oder in einem von einem Ochsen gezogenen Schlitten, dem „Corsa“.
Auch Österreichs Kaiserin Sisi, die auf Madeira ein Lungenleiden auskurieren wollte, soll mit dem Korbschlitten von Monte nach Funchal hinabgesaust sein. Ob sie für den Aufstieg die Hängematte gewählt hatte, ist nicht bekannt.
Ab 1893 war es für Madeirer und ihren Gästen leichter nach Monte zu kommen. Eine dampfbetriebene Zahnradbahn verband Funchal und Monte und machte den Ort zu einem beliebten Ausflugsziel. 1943 wurde die Bahn nach einem schweren Unfall stillgelegt. Nur noch der kleine Kiosk mit einem Spitzdach für den Fahrkartenverkauf erinnert in Monte an die Eisenbahn.
Die Azulejos – Madeiras Zierkacheln
Die beiden vorstehenden Abbildungen zeigen sogenannte „Azulejos“ am Café Ritz im historischen Stadtkern von Funchal. Diese Keramikkacheln gehören in Madeira wie in ganz Portugal seit dem 17. Jahrhundert zur Bautradition. Sie sind nicht nur Dekoration, sondern auch Hitze- und Witterungsschutz an Mauern und Wänden im Innen- und Außenbereich. Als Mitbringsel erfreuen sie sich bei Touristen seit 150 Jahren großer Beliebtheit. Heute gibt es sie auch mit dem Konterfei des „größten Sohn Madeiras“, des Weltfußballers Christiano Ronaldo. Die Madeirer wussten schon immer, was Touristen mögen!
Monte – vom Refugium der Aristokraten Europas zum touristischen Hotspot
Monte war früher Sommerresidenz der Gouverneure und Bischöfe Madeiras und ein mondäner Urlaubsort für Europas High Society. Hier befindet sich ein subtropischer und tropischer Garten (Jardim Botanico) mit einem Herrenhaus, das einst der Hotelfamilie Reid gehörte. (Reid’s Palace in Funchal zählt zu den klassischen Hotellegenden der Welt.)
1915 wurde die ehemalige Sommerresidenz des englischen Konsuls mit dem bezeichnenden Namen „Herrenhaus des Vergnügens“ (Quinta do Prazer) zum distinguierten Grande Hotel Belmonte umgebaut. Der Palast im neoromantischen Stil der Jahrhundertwende beherbergt heute eine Schule.
In Monte verbrachte auch der letzte Kaiser Österreichs, Karl I., nach seiner Absetzung im Jahr 1918 seine letzten Lebensmonate. Er starb 1922. Sein Sarg befindet sich in der Kirche Nossa Senhora do Monte. Die katholische Wallfahrtskirche gehört ebenfalls zu den Sehenswürdigkeiten von Monte. Am Fuße der Freitreppe warten die „Carreiros“ auf ihre Kunden aus aller Welt.
Fünfzig Jahre nach der letzten Fahrt der Zahnradbahn wurde mit einer Kabinenseilbahn die Verbindung nach Monte aufgenommen. Der Blick aus den gläsernen Gondeln auf das Meer, auf Funchal und die unter den Fahrgästen dahingleitende Landschaft ist ein beeindruckendes Erlebnis. Doch es wird auch deutlich, wie sehr die Urbanisierung die Stadt in den letzten Jahrzehnten verändert hat: Bis hoch in die Berge reiht sich heute Haus an Haus. Dennoch, „der schwimmende Garten Portugals“ ist und bleibt „the beautiful Isle of flowers and sunshine“, als die Madeira schon vor über hundert Jahren gepriesen wurde.
‚Reisen damals‘-Ausstellungstipp: das Madeira Story Center Das Madeira Story Center befindet sich im historischen Zentrum von Funchal, in der zona velha. Es ist ein auch für Kinder interaktives Museum, das seine Besucher auf eine virtuelle Zeitreise durch die Geschichte Madeiras und seine touristische Entwicklung schickt. www.storycentre.com Ganz in der Nähe befindet sich ein Museum, das bei Touristen noch beliebter zu sein scheint: eine Ausstellung über den Fußballstar Christiano Ronaldo.
Bildquellen
- Peasants_of_Madeira_conveying_Wine_1828: commons wikimedia | Public Domain Mark 1.0
- Carregadores_de_carros_de_cesto_do_Monte,_c._1930: commons wikipedia | Public Domain Mark 1.0
- Azujelos am Café Ritz in Funchal (2): Foto Horst Kleinert | All Rights Reserved
- Azujelos am Café Ritz in Funchal (1): Foto Horst Kleinert | All Rights Reserved
- Estação_do_Hotel_Bello_Monte,_Funchal,_c._1900: commons wikimedia | Public Domain Mark 1.0
- Korbschlittenfahrer: Foto Horst Kleinert | All Rights Reserved
- Nossa Senhora do Monte: Foto Horst Kleinert | All Rights Reserved
- Funchal_Cable_Car_Madeira: commons wikimedia | CC BY 3.0 Unported
- PT-ABM-PHF-75_-_Descida_do_Terreiro_da_Luta_em_carro_de_cesto,_Funchal: Rev. Robert Walsh via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0