Ernestine Senfft von Pilsach stehend neben Kopie eines Briefes

Mit Postkutsche und Eisenbahn nach Venedig – anno 1864

Aus den Erinnerungen von Ernestine Senfft von Pilsach.

Am 29. August 1864 fuhren die junge Ernestine, Tochter eines Gutsbesitzers, ihre drei Schwestern und ihre Eltern vom heimatlichen Sandow in Brandenburg in zwei Postkutschen nach Frankfurt an der Oder. Von Frankfurt aus ging es mit Eisenbahn, Pferdeomnibus, Dampfschiff und Kalesche über Dresden, Prag, München und über den Brennerpass nach Bozen und Mailand. (Ernestine beobachtete dabei von der Kutsche aus den Bau der Brenner-Eisenbahn, die 1867 fertiggestellt wurde.)

Kutscher auf Pferdeomnibus im Gespräch mit Passagier
Pferdeomnibus

In Mailand verbrachten sie vier Tage. Am Abend des 1. Oktobers erreichten sie Venedig. Sie verließen die Stadt am 4. Oktober und waren nach der Rückreise über Triest, Wien und Breslau am 10. Oktober wieder in Sandow. Ernestine hat auf der Reise ein Tagebuch geführt, aus dem der folgende Auszug stammt:

Venedig, 1. bis 4. Oktober 1864

„Sonnabend, den 1. Oktober, verließen wir Mailand. Um sechs Uhr am Abend kamen wir in Venedig an. Wir wurden auf dem Bahnhof von einer Gondel empfangen, die uns zum Hotel Bellevue fuhr. Es war eine schöne Fahrt, wir hörten nur Glockentöne und das Plätschern der Ruder, ansonsten herrschte tiefe Stille. Es war mir ein unbegreiflicher Traum, dass ich mich in Venedig befand. Unser Gasthaus befand sich an der Ecke des Markusplatzes, den ich mir ganz anders vorgestellt hatte. Er war sehr hell erleuchtet schon durch alle Läden, die durch ihren Glanz und Pracht viele Zuschauer an die Schaufenster lockten. Wir setzten uns, wie es hier Sitte ist, vor eine Konditorei, genossen Eis und betrachteten dabei alles in größter Ruhe. Es war ein herrlicher Abend, den ich nie vergessen werde. Wir gingen erst spät zu Bett.

Den Sonntag benutzten wir hauptsächlich für Gondelfahrten, bei denen man Venedig am besten kennenlernt. Wir bewegten uns lange Zeit auf dem Canale Grande und ließen uns bei jedem Palast, der uns gefiel, von dessen Geschichte und seinem Besitzer erzählen. Wir hatten sehr lebhafte Schiffer, die nicht aufhörten, uns fleißig in ihrer Sprache zu unterhalten, wovon wir leider nur wenig verstanden. Den Nachmittag und Abend verbrachten wir auf dem Markusplatz bei recht hübscher italienischer Musik, bei der es ganz frei zugeht. Während dem kamen Männer und Kinder an unsere Plätze und boten uns ihre Waren feil, venezianische Muschelarbeiten, Süßigkeiten, Streichholzbüchsen usw. Es liegt im Charakter der Italiener, dass sie sehr mit sich handeln lassen, immer zuerst höhere Preise verlangen und schließlich durch große Gutmütigkeit und Gewinnsucht ihre Waren wohl unter Wert verkaufen.“

Blich auf den Canale Grande
Canale Grande

„Montag, den 3. Oktober, benutzten wir hauptsächlich, um uns über die Kunstschätze Venedigs zu unterrichten, was ein geschwätziger Führer übernahm. Wir besuchten zuerst San Marco, eine Basilika byzantinischen Stils, begonnen im 10. Jahrhundert. Die Kathedrale trägt so recht das Gepräge des Altertums und gewährt dadurch einen seltenen Genuss. Wir gingen nun zum Dogenpalast, dessen Prachtbau im maurisch-gotischen Stil aus dem 14. Jahrhundert stammt.

Die Räume dieses Palastes sind großartig in ihrer Höhe und Größe. Ein Saal mit Skulpturen wurde uns dann gezeigt, von dessen Inhalt wir wenig verstanden, dagegen interessierten uns die Räume, in denen die Dogen ihre Sitzungen und Beratungen abhielten, sehr. Wir sahen hinauf zu den Bleidächern, zu denen eine Hühnerstiege führt, und besuchten noch die übrigen Gefängnisse des Gebäudes mit ihren steinernen Nachtlagern, worauf nur ein Strohsack gelegt wurde. Wir mussten bei diesen Gemächern viel an die Gefangenen denken, auch bei der Seufzerbrücke, die wir sahen, unter der viele ihren Tod fanden.“

Sicht auf die Rialtobrücke vom Canale Grande
Rialtobrücke

„Um einen recht schönen Blick auf das Meer und Venedig zu haben bestiegen wir die Glockentürme von San Marco. Es war ein imposanter Genuss, der durch das heute sehr unruhige Meer noch erhöht war. Sehr merkwürdig sahen die schwarzen Gondeln aus, die eingeführt worden sind, weil die Venezianerinnen so großen Luxus mit diesen Fahrzeugen trieben.

Es wurde uns von den vielen Glasbläsereien erzählt, die hier existierten, weshalb wir wünschten, eine zu sehen. Weil ein katholischer Feiertag war, war das Gedränge in den schmutzigen Gassen sehr groß, man merkte hier nichts von der gewesenen und noch herrschenden Pracht Venedigs. So sehr mich diese Stadt interessiert hat, kann ich doch einen tief melancholischen Eindruck nicht wegwischen, den ich von diesem Wohnsitz so vieler gewesener hoher Häupter erhalten habe.

Dienstag, der 4. Oktober war leider der letzte Tag, den wir hier verlebten. Der Abschied von Venedig wurde mir sehr schwer. Wir fuhren von hier aus in der Nacht mit der Eisenbahn nach Triest.“

Blick auf San Giorgo Maggiore
San Giorgo Maggiore

Immer mit dabei: der Baedeker

„Vergnügungsreisen“ wie die von Ernestine und ihrer Familie bedeuteten nicht, möglichst schnell und bequem an ein Ziel zu kommen. Im Gegenteil, man ließ sich für Besichtigungen und Ausflüge viel Zeit. So verzichtete die Familie auf dem Weg nach Venedig nicht darauf, touristische Highlights wie Salzburg, Bad Ischl, Meran, den Lago Maggiore, Lugano, den Comer und den Gardasee zu besuchen. Wertvolle Dienste leistete ihnen dabei der Baedeker Oberitalien. (Bereits 1855 wurde vom Verlag Karl Baedeker der erste Reiseführer über diese Region unter dem Titel Südbayern, Tirol, Salzburg, und Oberitalien herausgegeben.)

Gemälde von Wilhelm von Diez mit fahrender Postkutsche
Postkutschenreise. Gemälde von Wilhelm von Diez (1864)
‚Reisen damals‘- Tipp: das Caffè Lavena (wenn’s unbedingt ein Kaffeehaus auf dem Markusplatz sein muss)
Venedig-Tipps sind im Grunde überflüssig, denn mit jedem Schritt stoßen Sie auf historische Reminiszenzen. Eines der traditionsreichsten und bekannteste Cafés der Welt ist das Caffè Florian – und entsprechend hoch sind die Preise. Von Goethe bis Clooney reicht die Liste der prominenten Besucher. (Venedig-Fan Ernest Hemingway weilte vermutlich selten dort. Sein Lieblingsort war Harry’s Bar, westlich vom Markusplatz in der Cala Vallaresso). Das Ambiente des Florian erinnert an seine fast dreihundertjährige Geschichte. Wenn Sie Ihren Cappuccino preiswerter genießen wollen, gehen Sie Ins weniger berühmte, aber nicht minder eindrucksvolle Caffè Lavena schräg gegenüber.

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