Menschen vor der Gondel des Le Géant Ballons

Die Jungfernfahrt des Reiseballons Le Géant

Der 4. Oktober 1863: eine Sternstunde der frühen touristischen Luftfahrt!

Zum ersten Mal werden zahlende Passagiere das Abenteuer einer Ballonfahrt wagen, um einen Blick aus luftiger Höhe auf Dörfer und wechselnde Landschaften genießen zu können. 1.000 Francs hat sich die Reisegesellschaft die Fahrt mit dem Ballon Le Géant pro Person kosten lassen, nicht gerade ein Taschengeld.

Le Géant gilt bis heute als einer der größten Ballons in der Geschichte der Luftfahrt, drei- bis viermal so groß wie die üblichen modernen Heißluftballons. Seine Höhe betrug einschließlich der Gondel 45 Meter. Die Ballonhülle hatte einen Durchmesser von 26 Metern und fasste 6.000 Kubikmeter Traggas. Der Clou aber war die mit allem nur möglichen Komfort ausgestattete zweistöckige Gondel. Kein wie sonst üblich offener Korb, sondern eine Art Gartenhaus aus geflochtenem Weidenholz. Die Gondel hatte Fenster auf allen vier Seiten, sie maß vier mal zwei Meter und war zweieinhalb Meter hoch. Darin befanden sich ein fotografisches Labor, eine Bordbar, eine Toilette und sogar ein paar Betten.

200.000 Zuschauer hatten sich auf dem Pariser Marsfeld versammelt, um den Start des Riesenballons zu erleben. Über eine Leiter im Inneren gelangten die Passagiere auf die Galerie auf dem Gondeldach. Kapitän Nadar ließ eine kleine Kunstpause verstreichen, und dann endlich ertönte sein Kommando „Leinen los“. Langsam hob der Ballon unter dem Jubel der Menge vom Erdboden ab und schwebte über dem Invalidendom davon.

Bald darauf war er nur noch als kleiner Punkt am Himmel zu sehen. Doch wegen ungünstiger Windverhältnisse musste Le Géant bereits nach fünf Stunden bei Meaux landen, nur 45 km von Paris entfernt. Dennoch wurde diese erste touristische Luftfahrt von der Bevölkerung und der Presse enthusiastisch gefeiert. Nadar entschloss sich, den Erfolg zu wiederholen. Bereits zwei Wochen später, am 18. Oktober 1863, war Le Géant erneut startbereit. Diesmal sollte allerdings die Fahrt weitaus dramatischer verlaufen.

Sinkflug ins Chaos

Um 18.00 Uhr startet der Ballon planmäßig, wird aber durch den starken Wind schnell nach Norden abgetrieben. Der Ballon fliegt über Brüssel, Antwerpen und das nördliche Westfalen bis ins Königreich Hannover. Die Stimmung an Bord ist trotz vereinzelter Böen gut. Die Passagiere bewundern den Sonnenuntergang, genießen zu einem Glas Beaujolais einen kleinen Abendimbiss und ziehen sich dann zum Schlafen ins Innere der Gondel zurück. Die Nacht verläuft ruhig.

Am nächsten Morgen werden sie unsanft geweckt. Der Ballon ist in eine Schlechtwetterfront geraten; eine Landung ist unausweichlich. Le Géant beginnt den Sinkflug – der fast in einer Katastrophe endet. Der Ballon verliert seinen Anker, berührt Telegrafenmaste und Baumkronen, ohne aber zum Stillstand zu kommen. Nadar feuert mehrere Revolverkugeln in die Hülle, um das Gas entweichen zu lassen. Vergeblich, der Ballon entleert sich viel zu langsam. Noch über zwölf Kilometer wird der Korb über Land geschleift. Vier Passagieren gelingt es, aus dem Korb zu springen, die fünf anderen beenden den Horrortrip in einem Bach. Wie durch ein Wunder ist keiner ernsthaft verletzt. Nur Nadar erleidet bei der Notlandung einen glücklicherweise nicht sehr komplizierten Armbruch.

Zerstörte Gondel des Ballons Le Géant nach der Bruchlandung
Die Gondel nach der Bruchlandung

Nadars Popularität blieb trotz des Desasters ungebrochen. Geschickt und geschäftstüchtig wusste er die große Anteilnahme der Öffentlichkeit zu nutzen: In Vorträgen, Fotoausstellungen und Büchern trommelte er weiter für seine Ballonaufstiege. Le Géant wurde repariert und für Flüge in Frankreich, Belgien und Holland wieder eingesetzt. Eigens hierfür hatte er für die Passagiere Sicherheitsvorschriften zum Verhalten an Bord verfasst (vermutlich die ersten Beförderungsbedingungen in der Geschichte der Verkehrsluftfahrt). Alle Fahrten verliefen ohne größere Probleme, doch der erhoffte finanzielle Erfolg blieb aus. 1886 gab er die Ballonfahrt auf und widmete sich wieder seinem ursprünglichen Beruf, der Fotografie.

Plakat einer Anküdung mit der Fahrt im Ballon Le Géant aus dem Jahr 1865
Flugankündigung 1865

Jules Verne – Vordenker und Förderer der Luftfahrt

Schon vor den Le Géant-Flügen war sich Nadar darüber im Klaren gewesen, dass Ballons als Verkehrsmittel keine große Zukunft haben werden: Sie sind nicht lenkbar und damit Wetterunbilden hilflos ausgesetzt. Alle Versuche, Ballons mit Hilfe von Segeln und Schleppleinen auf Kurs zu halten, schlugen fehl. Nadar hatte deshalb bereits 1863 eine Gesellschaft zur „Förderung der Konstruktion von lenkbaren Flugmaschinen“ gegründet. Zum Sekretär ernannte er einen anderen Flugbegeisterten – seinen Freund Jules Verne, den legendären Autor des fiktiven, aber wissenschaftlich fundierten Reiseromans „Fünf Wochen im Ballon“. Die Schilderung einer abenteuerlichen Fahrt über Afrika ist nach „Reise um die Erde in achtzig Tagen“ Vernes erfolgreichstes Buch.

Ballon mit der Aufschrift "5 Semaines en Ballon"
Fünf Wochen im Ballon, Coverillustration der französischen Ausgabe von Édouard Riou (1863)

Die weitere Entwicklung der Luftfahrt war damit vorgezeichnet und führte schließlich zu den motorgetriebenen sogenannten Lenkballons, den frühen Luftschiffen in der Form „fliegender Zigarren“, wie der Volksmund spottete.

‚Reisen damals‘-Tipp: Im Riesenballon über Berlin
Der Helium-Ballon High-Flyer zählt zu den größten Fesselballonen der Welt. Mit einem Füllvolumen von 6.000 Kubikmetern Helium und einem Umfang von 22 Metern ist er fast ebenso gigantisch wie Nadars Le Géant. Berlins höchste schwebende Aussichtsplattform ermöglicht es bis zu dreißig Personen, sich fünfzehn Minuten lang die Berliner City aus 150 Metern Höhe zu betrachten. Herunter geht es dann elektrisch: Eine Winde mit Motor zieht den riesigen Heliumballon an einem Stahlseil sanft nach unten.
www.air-service-berlin.de
Helium-Ballon High Flyer in der Luft
Helium-Ballon High Flyer

Bildquellen

2 Kommentare zu „Die Jungfernfahrt des Reiseballons Le Géant“

  1. Die Bücher von Jules Verne habe ich als Jugendlicher verschlungen. Und er hatte tatsächlich ein Interesse an der Luftfahrt. Er war zwar Schriftsteller, der in seinen Romanen fantastische Elemente verwendete, legte jedoch auch Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit und versuchte seine Geschichten auf realistischen Grundlagen aufzubauen. Könnte gut sein, dass sich der ein oder andere Entwickler von Heissluftballon von ihm inspirieren liess.

    1. Geht mir genauso. Und den Film „In 80 Tagen um die Welt“ fand ich auch klasse. Wir werden hier auf dem Blog bestimmt noch öfter Jules Verne thematisieren.

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