Buchcover Heinz Helfgen

Heinz Helfgens Reise mit dem Fahrrad um die Welt

Unglaublich, was Heinz Helfgen geleistet hat. Mit 3 Mark 80 in der Tasche und grenzenlosem Optimismus gesegnet, setzt sich der arbeitslose Reporter am 3. September 1951 morgens um sieben Uhr auf sein Fahrrad und beginnt seine Reise um die Welt. Da ist er immerhin schon 41 Jahre alt. Er radelt von Düsseldorf aus den Rhein entlang, in Richtung Köln und Frankfurt. Am Abend ist er kurz vor Frankfurt. Über 200 Kilometer hat er auf dieser ersten Tagesetappe geschafft, bei Regen und mit 30 kg Gepäck. Er will vom Rad absteigen und auf einer Wiese sein Zelt aufbauen. „Ging nicht“, erinnerte er sich. „Ich brachte das Bein weder über den Sattel noch das Gestänge.“ Doch mehr drückt Helfgen ein anderes Problem. Mit ein paar Mark würde er nicht weit kommen; er brauchte finanzielle Unterstützung. Am nächsten Tag würde sich entscheiden, ob er seinen abenteuerlichen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen kann …

Ein aberwitziges Vorhaben

1951, nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, hatte sich Heinz Helfgen bei mehreren Zeitungen um einen Job bemüht. Vergeblich, er musste sich in die lange Schlange der Wartenden auf dem Arbeitsamt einreihen. Im Journalismus seien „alle Stühle bereits besetzt“ gewesen, schrieb er später. So reifte bei ihm der Gedanke, eine journalistische Leistung zu vollbringen, die „meine Pressekollegen zwingen würde, meine Reportagen zu drucken.“ Der Plan für eine Radtour um die Welt war geboren. Innerhalb von vierzehn Tagen hatte er alles zusammen: den Reisepass, ein geliehenes Fahrrad der Marke „Patria WKC“ (mit Dreigangschaltung und verstärkten Felgen), eine von einem Sportgeschäft gesponserte Campingausrüstung, eine alte Kamera, Fernglas und ein Fahrtenmesser. Sein wichtigstes Reisekapital waren aber seine Sprachkenntnisse und seine exzellente Fitness, die er sich in der amerikanischen Gefangenschaft durch ständigen Sport erworben hatte.

Buchcover Heinz Helfgen
Cover der heute vergriffenen Erstauflagen der beiden Bände aus dem Bertelsmann Verlag, Gütersloh

Einen Tag nach seiner Abreise aus Düsseldorf besuchte Helfgen in Frankfurt die Boulevardzeitung „Abendpost“ – und hatte Glück. Man würde sich über Beiträge von ihm freuen, versicherte ihm die Redaktion. Das Honorar war nicht üppig, würde aber fürs Erste reichen. Während er unterwegs war, druckte das Blatt ein- bis zweimal pro Woche eine Reportage von ihm, insgesamt 157 Folgen.

800 Tage später war er wieder zuhause und verfasste sein Buch, das zum erfolgreichsten Reisebericht in der jungen Bundesrepublik werden sollte. Seine Reise hatte ihn durch Österreich, Jugoslawien, Griechenland, die Türkei, Syrien, Irak, Persien, Pakistan, Indien und Ostindien (Bangladesch), Burma, Thailand Kambodscha, Vietnam, Japan, die USA, Kuba, Jamaika, Aruba, Venezuela und Brasilien geführt. Was er Spannendes erlebte, machen die 65 Kapitelüberschriften aus den beiden Bänden deutlich. Es geht relativ harmlos los („Fahrt über die Alpen nach Jugoslawien“) doch dann beginnen die Abenteuer: Im Schweigelager der vergessenen Kriegsgefangenen / Amöbenruhr am Euphrat / Krise in Bagdad / Schüsse an der Grenze und Opium / Die Salzwüste Lut / Schmuggler, Banditen und ein Mädchen / Ich werde Fürst des Bugditstammes / Tiger, Tempel und die Heilige Kuh / Im Dschungel-Hauptquartier der Kommunisten / Drei Stunden in den Fluten des Irawadi / Frontflug nach Hanoi und Fallschirmabsprung in Feindesland / Mit dem Kaiser von Vietnam auf Großwildjagd / Besteigung des Fujiyama / Kubanische Abenteuer … Auf Kuba trinkt Helfgen mit Ernst Hemingway („sieht aus wie ein normannischer Fischer“) in dessen Stammkneipe El Floridita ein paar Daiquiris. Zwei Tage später besucht er den Dichter auf seinem Landgut. Wieder fließt reichlich Alkohol – bis Hemingway im Wohnzimmersessel plötzlich einschläft. Helfgen macht sich davon und übernachtet in seinem Zelt im Garten. Danach beginnen die letzten Etappen der Weltreise: Labyrinth Jamaika / Auf dem Weg zur Grünen Hölle / Das letzte große Abenteuer: Vom Orinoco zum Amazonas … Von Brasilien aus ging es schließlich per Schiff zurück nach Deutschland.

„Ich radle um die Welt“ war der erfolgreichste Reisebericht in der jungen Bundesrepublik

Helfgens Buch liest sich spannend wie ein Abenteuerroman. Die Kritiker, die ihn als „Karl May des 20. Jahrhunderts“ bezeichneten, wollten wohl andeuten, dass einige Begebenheiten seiner Fantasie entsprungen sein könnten. Möglicherweise hatte er an einigen Stellen die Dramatik der Ereignisse und seine eigene Rolle dabei etwas übertrieben dargestellt, doch alle wesentlichen Fakten stimmten. „Ich reise um die Welt“, ist ein Reise-Sachbuch, das beste Unterhaltung bietet. (Natürlich muss man berücksichtigen, dass das Buch im Zeitgeist der fünfziger Jahre geschrieben wurde und einige deutschtümelnde Formulierungen enthält, die heute als political incorrect gelten würden.)

In der tristen Nachkriegszeit war das Buch eine Sensation. Von den beiden Bänden „Ich radle um die Welt“ wurden in den fünfziger Jahren 600.000 Exemplare gedruckt. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen, und weite Reisen konnten sich nur wenige leisten. So verwundert es nicht, dass Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Bücher und Radiosendungen über die Abenteuer Reisender in fremden Ländern auf riesiges Interesse stießen – insbesondere, wenn sie von einem so brillanten Erzähler wie Helfgen stammten.

Foto mit Mann neben Fahrrad
Für den kleinen Jungen in Indochina ist die Reisschale wichtiger als der merkwürdige Fremde

Mit dem beginnenden Massentourismus, der viele Deutsche auch in ferne Länder führte, verloren Bücher von und über Weltenbummler an Faszination. Zwar veröffentlichte Helfgen noch einige Reisebücher wie zum Beispiel „Ich trampe zum Nordpol“, einen abenteuerlichen Bericht über seine Expedition mit Auto, Buschflugzeug, Hundeschlitten und Schlauchboot, doch an den Erfolg seines Hauptwerkes konnte auch dieses Buch nicht anknüpfen. Ende der 60er Jahre war der größte Reise-Bestseller der Nachkriegszeit fast vergessen, und auch um einen der prominentesten Deutschen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit wurde es still. Heinz Helfgen starb mit 80 Jahren am 28. Oktober 1990 in Völklingen.

Foto Mann neben Kajak
Heinz Helfgen vor seinem Aufbruch zum Nordpol (1956)

Es ist das Verdienst des Reise- und Radjournalisten Stefan Etzel „Ich radle um die Welt“ in überarbeiteter Form wieder herausgebracht zu haben. Ergänzt wurde das Buch durch Episoden, die seinerzeit aus politischen Gründen nicht hätten mitgeteilt werden dürfen, wie z. B. die Umstände von Helfgens Flucht aus Jugoslawien mit Hilfe der CIA.

 „Eine erneute Erdumrundung mit dem Fahrrad auf meinen Spuren würde heutzutage auf bedeutend größere Schwierigkeiten stoßen“, schrieb Helfgen 1988. Das klingt ziemlich untertrieben; eine Weltreise per Rad wie Anfang der 50er Jahre wäre schon 1988 nur mit sehr viel Glück durchführbar gewesen – und heute wohl nur unter Lebensgefahr. Aber vielleicht ist das gerade der Grund, warum „Ich radle um die Welt“ das Zeug hat, erneut zum Reisekultbuch nicht nur für ambitionierte Radsportler zu werden.

Reisen damals-Lesetipp: „Ich radle um die Welt“ von Heinz Helfgen
Die beiden Bände sind in der von Stefan Tetzel herausgegebenen Neuauflage zu einem Band zusammengefasst. Das Buch beschreibt nicht nur eine spannende Weltreise, sondern aus der Sicht von heute auch eine faszinierende Zeitreise.
398 Seiten, 16,98 € (Taschenbuch). Auch bei Kindle als eBook erhältlich (4,99 €). Erschienen im Verlag Rad und Soziales, 2014
Buchcover

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