Dass eine Orientreise nicht nur „Märchenbilder aus der Kinderzeit“ hervorruft, musste auch der Hohenzollernprinz Friedrich Wilhelm von Preußen (1831 – 1888) erkennen. Die Aufzeichnungen des späteren deutschen Kaisers Friedrich III. („99-Tage-Kaiser“) über seine Reise nach Port Said zur Einweihung des Suezkanals 1869 zeigen, dass auch privilegierte Touristen königlichen Geblüts im Orient von so manchen Strapazen und Unzulänglichkeiten nicht verschont blieben.
Die Reise des Kronprinzen und seiner Entourage führte über München nach Wien („Kaiserin Elisabeth war so schön wie je und äußerst elegant wie immer“) und über Venedig nach Bari. In Brindisi nehmen sie ein Schiff nach Korfu und fahren dann weiter nach Corinth, wo sie an Bord der „SMS Hertha“, eine Korvette der Arcona-Klasse, gehen. Am 22. Oktober 1869 ankern sie im Hafen von Athen und dann in Konstantinopel. Von der östlichen Mittelmeerküste aus unternehmen sie mehrtägige Landausflüge, auf denen sie Jerusalem, Beirut und Damaskus besuchen, bis sie schließlich am 16. November in Port Said an der Mündung des Suezkanals zu den Eröffnungsfeierlichkeiten eintreffen. Wie es sich für eine jede Grand Tour gehört, folgt eine Fahrt auf dem Nil zu den antiken Stätten Ägyptens und der Besuch von Kairo und Alexandria. Am Morgen des 9. Dezember 1869 beginnt die Heimreise. Am Silvesterabend sind der Kronprinz und seine Gefolgschaft wieder in Berlin.
Friedrich Wilhelm verpackte seine kritischen Reiseerlebnisse in einem respektvollen, stellenweise humorvollen Ton, so dass das „Tagebuch meiner Reise nach dem Morgenlande 1869“ sich auch heute noch mit Vergnügen liest. Hier einige (gekürzte) Textpassagen:
Athen, 22. Oktober 1869
„Die herrliche Mondnacht verlieh der Akropolis das Aussehen eines noch unversehrten Baudenkmals. Erst wenn man bei Tageslicht den Felshügel erstiegen hat, ergreift den Besucher tiefe Wehmut beim Anblick der ungeheuren Trümmerhaufen, die menschlicher Frevel anrichtete. Aber trotz jahrhundertelanger Zerstörungen konnte ich mich an den Ruinen nicht sattsehen … England, Frankreich und Bayern haben die Akropolis vor einigen vierzig Jahren nicht viel weniger durch Plünderungen zum Besten ihrer Museen verwüstet, als ehedem rohe Völkerschaften es durch Zerstörungen im Großen getan haben.“
Konstantinopel, 26. Bis 29. Oktober 1869
„Der Bosporus von Konstantinopel von der Serailspitze bis zum Schwarzen Meer ist eines der großartigsten Bilder, die man wohl auf der Erde finden kann. Sobald man aber das Innere der Stadt betritt und nur ein wenig an das bunte orientalische Gewirr sich gewöhnt hat, verliert sich der Zauber nur allzu schnell. Die engen schmutzigen Gassen sind geradezu widerwärtig, die Gerüche abscheulich und die Holzhäuser mehr als unansehnlich. Vergeblich sucht man den Prunk, den der Sultan für seine Person entfaltet, nach etwas Entsprechendem in der Residenzstadt.“
Jerusalem,4. Bis 9. November 1869
„Jegliches fromme Gefühl, mit dem man sich dem Heiligen Grabe naht, weicht zurück, wenn man von den lateinischen und griechischen Mönchen sofort am Eingang der Kirche darauf angeredet wird, dass dieser Teil oder dieser Stein der einen, jener aber der anderen Konfession gehöre und man dementsprechend also erst hierhin müsse und dann erst dorthin dürfe … Wird man dann nach abermaligen Hin- und Herzerrungen endlich nach Golgatha geführt, so sieht man vollends nichts. Der Besucher kann hier wegen der herrschenden Dunkelheit nichts unterscheiden. Ich fühlte mich durch alles bitter enttäuscht … Die reichste Entschädigung bietet die Besteigung des Ölbergs. Ich erreichte den Gipfel kurz vor Sonnenuntergang und erblickte die ganze Ausdehnung der Stadt und auf der entgegengesetzten Seite die Felswände des Toten Meers … Jetzt erst konnte ich mir eine leise Vorstellung von der Schönheit machen, mit der die Bibel vom ‚heiligen und herrlichen‘ Jerusalem spricht.“
Damaskus, 12. November 1869
„Damaskus ist wirklich mit einer von Smaragden eingefassten Perle zu vergleichen. Die weißen Häuser, Moscheen und Minarette, die von grünen Orangen- und Zitronenhainen umgeben sind, riefen unwillkürlich jenes Bild in mir hervor. Dieser zauberhafte Eindruck wird bei mir nie erlöschen … Im Basar, der mir ausgedehnter als der von Konstantinopel vorkommt, fühlten wir uns so recht im Orient. Türken, Griechen und Araber in ihrer alten Nationaltracht betrachteten uns Fremde mit halb verschmitzten, halb apathischen Augen, jedoch mit italienischer Lebendigkeit, sobald es ans Verkaufen ging. Übrigens wird auch bei dem regesten kaufmännischen Treiben die gemütliche Seite der Gastfreundschaft niemals außer Acht gelassen, und ein Tschibuk nebst Kaffee bietet jeder an, in dessen Verkaufsbereich man tritt.“
Auf dem Nil, 22. November bis 1. Dezember 1869
„Da, wo Fremdenverkehr die Landesbewohner bereits gewitzt gemacht hat, hört man sich oft in einem Kauderwelsch von deutsch, englisch, französisch und italienisch anreden. Zahllose altägyptische Gegenstände werden dem Reisenden überall angeboten, doch man hat sich vorzusehen, denn die betrügerische Nachbildungskunst hat es darin bereits zu einer hohen Industrie gebracht … Die Skarabäen bleiben noch immer das Hübscheste, während Mumienstücke mich geradezu anwiderten. Letztere fangen übrigens an, bedeutend abzunehmen, seitdem spekulative Nichtsachverständige sich über die Gräber hergemacht und sie geradezu geplündert haben. Ausfuhrverbote verhindern zwar heute das Wegschleppen größerer Bildwerke, aber manches Königsgrab und manche Tempelruine zeigt Stellen, deren ehemalige Ornamente in den Hauptmuseen Europas jetzt angestaunt werden können.“
Kairo, 4. Dezember 1869
„Auf dem Berge, der die Zitadelle trägt, erbaute Mehmet Ali eine herrliche Moschee mit zwei Minaretten, ganz und gar aus orientalischem Alabaster, in der sich seine Grabstätte befindet … von hier aus genossen wir die Aussicht über die mächtige Stadt im schönsten Abendsonnenschein. Ich konnte mir nun erklären, warum man mit Recht Kairo nebst Damaskus und Konstantinopel die Perlen des Orients nennt.“
Kairo, 5. Dezember 1869
„Unsere Ausflüge in die Umgebung galten heute dem ‚versteinerten Wald‘, dem ‚Marienbaum‘ und den Ruinen von Heliopolis. Bei den Kalifengräbern ließen wir uns fotografieren, um der Mit- und Nachwelt den exotischen Anblick von Kamelreitern unseres Stammes zu überliefern. Aber weder die Kamele noch die allgemein geschätzten Esel wollten heute ihrem Ruf Ehre machen, denn jeden Augenblick versagte einer jener Vierfüßler den Dienst. Mein Esel fiel auf beide Knie und warf mich über den Kopf auf den Sand. Mein Kamel, dem ich mich dann anvertraute, trat in ein Loch, verlor das Gleichgewicht und hätte mich ebenso wie der Esel behandelt, wenn nicht noch im letzten Augenblick Ratib-Pascha hinzugekommen wäre, denn schon saß ich auf dem Hals des Tieres. Für so viel Abenteuer bot das erreichte Ziel wenig, gleichwohl die erwähnten Versteinerungen ganz hübsch sind.“
Kairo, 6. Dezember 1869
„Die Besteigung der Pyramiden gehört zu denjenigen Dingen, die man nur unternimmt, um sagen zu können, dass man dabei gewesen sei. Je zwei Araber spannen sich vor einem und ziehen den Fremden stufenweise von Stein zu Stein. Die Knie versagen einem allmählich den Dienst, man verliert den Atem und kommt endlich schlotternd am ganzen Leibe oben an. Das Hinuntersteigen bot fast ebenso viel Unannehmlichkeiten wie das Hinaufsteigen, nur dass sich noch Schwindel hinzugesellte. – Um das Maß der Genüsse voll zu machen, begab ich mich in das Innere der Pyramide. Alle erdenklichen Stellungen und Biegungen des menschlichen Körpers werden angewendet, um vorwärtszukommen. Es geht bald bergauf, bald bergab, bald rutscht man oder muss auf allen Vieren kriechen. Endlich erreicht man die Grabkammer mit dem steinernen Sarkophag und schwitzt wie in einem russischen Dampfbad.“
1888 wurde Kronprinz Friedrich Wilhelm nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I. Deutscher Kaiser. Er regierte als Friedrich III. in diesem sogenannte Dreikaiserjahr nur 99 Tage. Am 15. Juni 1888 starb er an den Folgen seiner Kehlkopfkrebserkrankung. Friedrich Wilhelm hatte sich während seiner langen Kronprinzenzeit – gemeinsam mit seiner englischen Frau Victoria – der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur in Preußen gewidmet. Unter anderem machte er sich um den Ausbau der Berliner Museumsinsel verdient. Nachfolger auf dem Kaiserthron wurde Wilhelm II.
Reisen damals-Lesetipp: Kronprinz Friedrich Wilhelm „Tagebuch meiner Reise nach dem Morgenlande 1869“ Der Bericht des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm über seine Reise zur Einweihung des Suezkanals, herausgegeben von Hans Rothfels, erschien 1971 im Verlag Ullstein (107 Seiten). Einzelne Exemplare werden noch im Antiquariats-Buchhandel angeboten. Link-Empfehlung (Einweihung des Suezkanals)
Bildquellen
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