Altes Reklameplakat von Berlin

Berlin in den „Goldenen Zwanzigern“: Vergnügungsmetropole der Welt

Mitte der 1920er Jahre begann die Stadt mit dem Slogan „Jeder einmal in Berlin“ professionell um Gäste zu werben. Insbesondere Ausländer waren eingeladen, sich von der kulturellen Vielfalt der Reichshauptstadt und ihrer quirligen, weltoffenen Atmosphäre selbst zu überzeugen. Die Zahl der Hotels und Pensionen stieg sprunghaft an; der Tourismus florierte. Und Berlin hatte an Sehenswertem einiges zu bieten. Doch nicht nur das Schloss und der Dom, die Museen, Zoo und Aquarium, Schloss Sanssouci in Potsdam und die vielen Seen und Wälder im Umland lockten Besucher, auch als Kultur- und Vergnügungsmetropole nahm die Reichshauptstadt weltweit eine Spitzenposition ein. Für die vielen dollarstarken Gäste aus den USA gab es neben dem günstigen Wechselkurs noch ein weiteres Argument für Berlin: Im vermeintlichen „Sündenbabel Berlin“ brauchte man nicht wie daheim die Whiskeyflasche in der Hosentasche zu verstecken. (Erst 1933 endete in den USA die Prohibition. )

Ganz so „golden“, wie es in manchen nostalgischen Betrachtungen behauptet wird, waren die Zwanziger nicht. Die meisten Berliner spürten von der Aufbruchsstimmung nur wenig; die Löhne waren niedrig, die Wohnungsnot groß und der Arbeitsalltag in den Werkstätten, an den Fließbändern und in den Schreibsälen hart. Amüsieren wollte man sich trotzdem.
Besucher, die sich im „Babylon Berlin“ nicht auskannten, taten gut daran, sich bei ihren Entdeckungstouren einem kundigen Begleiter anzuvertrauen oder sich zumindest einen gedruckten Wegweiser zu besorgen – nicht den Baedeker, sondern ein Reisehandbuch wie den „Führer durch das ‚lasterhafte’ Berlin“ von Curt Moreck, erschienen 1931. Aus diesem Buch stammt die hier mit freundlicher Genehmigung der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung verkürzt wiedergegebene Beschreibung der drei Zentren des Berliner Nachtlebens. Den Beginn macht die City, der Bereich um die „sündige Meile Berlins“, die Friedrichstraße.

Die City – grell und schrill

„Abends flammen hier die Lichtfassaden zweier der größten Vergnügungsstätten auf, die schon vor Jahrzehnten zum Verruf der berlinischen Sündenhaftigkeit beigetragen haben … Um Mitternacht speien die Revuetheater ihr Publikum aus. Dann staut sich die Menge vor den Türen der Tanzdielen, und in den Bars füllen sich die hohen Stühle und klappern die Gläser. Schlepper schieben sich in Tuchfühlung an die männlichen Alleingeher heran und flüstern ihnen zu: ‚Nachtlokal – Spielklub – Nackttänze’: Der Nepp lauert auf seine Opfer.“

Der Westen – weltstädtisch und glamourös

„Der Kurfürstendamm ist das heutige, das lebendige Berlin. Wer hier flaniert, will sehen und gesehen werden. Die Sprachen aller Nationen, die Dialekte aller Stämme schwirren hier in einem babylonischen Gewirre durcheinander. Hier fängt das Leben mit der Abenddämmerung an und endet erst mit der Morgendämmerung. Das mit dem Nachmittagstee beginnende Nachtleben des Kurfürstendamms bevölkert die Unzahl der Cafés, Weinstuben, Grill-Rooms, Kabaretts, Austernstuben, Bars und Kinos.“

Werbung im Berlin der zwanziger Jahre
Nachtclubwerbung in einem Reiseführer von 1928

Der Osten – verrucht und abenteuerlich

„Am Alexanderplatz beginnt der dunkle Osten. Das Nachtleben spielt sich hier ab in rauchigen Kneipen, in düsteren Kaschemmen, schmalen Bierausschanken, in kleinen Cafés – der harte Kontrast zu den in Lichtfluten ertrinkenden Straßen des Westens und der City. Dazwischen überall Häuser mit dem schlichten Schild ‚Hotel’. Aus der Tür kommen Paare, Paare verschwinden hinein … An einer Stelle nimmt der dunkle Osten einen Anlauf ins Mondäne. Die Stätte östlicher Lebenslust ist das Residenz-Casino, kurz Resi genannt. Hier tanzt Berlin in einer Märchendekoration wie aus 1001 Nacht. Leuchtfontänen säumen die gläserne Tanzfläche, die niemals leer wird. Zwei Orchester, auf Balkonen platziert, wechseln einander ab.“

Werbepostkarte vom Resi-Casino
Resi-Werbepostkarte

Berlins kesse Partymädchen

Morecks Reiseführer beschreibt auch ein Phänomen, das es in dieser Form nur in Berlin gab: die extreme Tanzlust der Berlinerinnen. Fast alle großen Hotels wie Kaiserhof, Eden, Centrum oder Esplanade boten zum Fünf-Uhr-Tee in ihren Hallen Gelegenheit zum Tanzen. Das Bedürfnis der Frauen nach Geselligkeit, Tanz und Bewunderung war nach den mageren Jahren groß. Selbst das sich eher zurückhaltend präsentierende Hotel Adlon musste sich – nicht zuletzt unter dem Druck seiner vielen amerikanischen Gäste – dem Wunsch nach Tanzveranstaltungen beugen und ließ schließlich nachmittags eine Jazzband zum Charleston und Shimmy-Fox aufspielen.

Bevorzugt besucht wurden die Tanztees von den sog. Flapper-Girls – junge Frauen mit Bubikopf und Zigarettenspitze, berufstätig, unabhängig und Flirts nicht abgeneigt. Der Unterschied zu Paris oder New York: In Berlin war der Anteil der Frauen als Folge der demographischen Lücke, die der Krieg hinterlassen hatte, sehr viel höher, und männliche Tanzpartner waren entsprechend begehrt – „Damenwahl“ musste nicht extra angekündigt werden. Männliche Touristen aus den USA waren verblüfft. Vollends ins Staunen gerieten sie, wenn sie der Einladung einer Tanzpartnerin in den festlich illuminierten Lunapark, den mit täglich 50.000 Besuchern größten Vergnügungspark Europas, folgten. Direkt am Halensee gelegen, am Ende des Kurfürstendamms, wartete neben gewaltigen Rummelplatzattraktionen ein großes Wellenbad auf die Besucher. Keine Badehose? „No problem, Mister. Heute ist für Männer und Frauen Nacktbadetag.“

Frau im Café aus den zwanziger Jahren
Flapper Girl im Romanischen Café

Haus Vaterland – Alle Nationen unter einem Dach

Die spektakulärste und meistbesuchte Großgaststätte Berlins befand sich am verkehrsreichen Potsdamer Platz – das Haus Vaterland. Unter seiner rotierenden Lichtkuppel hatten so ziemlich alle Nationen der Welt eine gastronomische Heimstatt gefunden: Es gab ein Wiener Café, Japan war mit einer Teestube vertreten, Amerika mit einer Wild-West-Bar, Italien mit einer Osteria, Spanien hatte eine Bodega, Ungarn eine Puszta-Stube, die Türkei einen Mokka-Ausschank. Berühmt waren die Wettersimulationen in der Rheinterrasse. Wohl nur wenige ausländische Besucher verzichteten darauf, das Haus Vaterland zu besuchen. Die Berliner waren dort nur selten zu sehen, „aber es ist eine Sehenswürdigkeit“, wie Curt Moreck in seinem Reiseführer schrieb, „und darum den Fremden empfohlen. Denn für die ist es ja aufgebaut worden.“

Kudamm in den zwanziger Jahren
Haus Vaterland

Das Romanische Café – „Im Wartesaal der Talente“

Ein Besuch des Romanischen Cafés, vis-à-vis der Gedächtniskirche, gehörte fast schon zum Pflichtprogramm der in Berlin weilenden Touristen. Hier traf sich das Berliner Geistesleben – Regisseure, Journalisten, Literaten. Für Erich Kästner war das Romanische Café ein Wartesaal der Talente: „Man wartet. Inzwischen vertreibt man sich die Zeit. Hierzu benötigt man das weibliche Geschlecht; Studentinnen, Kunstgewerblerinnen, höhere Töchter. Außer ihnen gibt es hier auch jene Damen, die von der Liebe leben.“ Zu den Stammgästen gehörten arrivierte Künstler und Kulturschaffende wie Alfred Kerr, Otto Dix, Alfred Döblin, Max Liebermann, Bertolt Brecht, Billy Wilder und Stefan Zweig.

Das Eldorado – Feiern unterm Regenbogen

Das Eldorado in der Schöneberger Lutherstraße war über die Grenzen Berlins hinaus bekannt. Einen Abend im Eldorado zu verbringen, war bei Touristen und bei der Berliner Gesellschaft große Mode. Zu den Gästen des Eldorados zählten Prominente wie Marlene Dietrich, Claire Waldorf, Magnus Hirschfeld und Egon Erwin Kisch.

„Zum Verständnis sei vorausgeschickt, dass dieses Lokal eine besondere Note hat, es ist die Heimstätte derer, die ‚anders als die anderen’ sind, und eine Unterhaltungsstätte für diejenigen, die diesem Treiben zuschauen und sich zuerst sehr wundern, wenn sie plötzlich erfahren, dass die von ihnen bewunderte und vielleicht auch begehrte Tänzerin ein junger Mann ist und dass die Lokalberühmtheit ‚Nora’ eigentlich ‚Leo’ heißt. Die Bühne zeigt Karikaturen berühmter Operetten- und Schlagerkomponisten, die ‚Wunder-Bar’ persifliert Prominente aus Kunst und Kultur (über allen thront Max Schmeling), und in der ‚Taormina-Bar’ mit dem aufflammenden Ätna findet man Dekorationen zu bekannten Romanen, Bühnenstücken und Schlagern.“ (Quelle: Die Reklame, 1. Novemberheft 1930)

Foto vom Lokal Eldorado aus dem Berlin der 20er Jahre
Das Eldorado

Noch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung musste das Eldorado 1932 im Zuge einer polizeilichen „Kampagne gegen das lasterhafte Nachtleben“ schließen. Ein Jahr später war, tatsächlich unter dem alten Namen, Wiedereröffnung – als SA-Lokal. Die braune Pest hatte längst begonnen, das tolerante, weltoffene Vergnügungs- und Kulturleben der Stadt zu zerstören. Goodbye to Berlin: Die ersten Künstler, Wissenschaftler, Journalisten, Autoren und Oppositionellen gingen ins Exil.

Reisen damals-Tipps: Berlin in den 1920- und 1930ern

Stadtführung
Wer in Berlin in die Goldenen Zwanziger abtauchen will, kann eine Tour mit dem Historiker Arne Krasting von Zeitreisen Berlin buchen. Bei seinen Stadtführungen trägt er Schiebermütze und Knickerbockerhosen und bietet den Teilnehmern Zigaretten aus einer original Overstolz-Schatulle aus den Zwanzigern an. Der gleichen Marke, die auch Kommissar Rath in „Babylon Berlin" raucht. (Nichtraucher sind natürlich auch willkommen.)
www.zwanziger-jahre-berlin.de

Berlin-Museen
Das Märkische Museum widmet sich der Geschichte und Kulturgeschichte Berlins vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
www.stadtmuseum.de
Das Humboldt Forum (Berliner Schloss) beherbergt die Ausstellung BERLIN GLOBAL. Sie berichtet über die Geschichte Berlins aus den Perspektiven Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode und Verflechtung.
www.humboldtforum.org

The Story of Berlin
Das Erlebnismuseum The Story of Berlin zeichnet die wechselhafte Geschichte Berlins – von der Siedlung bis zur bundesdeutschen Hauptstadt – nach. Auf 6000 Quadratmetern und in 23 Themenräumen kann sich der Besucher anhand von Multimedia-Installationen und Original-Exponaten über die Entwicklung der Stadt sowie die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen seit ihrer Gründung informieren.
www.story-of-berlin.de

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