Gemälde mit Zeppelin vor Bergen

Im Luftschiff Graf Zeppelin um die Welt. Ein Bordtagebuch

Im Herbst 1929 errang die Graf Zeppelin unter ihrem Kommandanten Hugo Eckener mit der Fahrt um die nördliche Welthalbkugel zwei bis heute ungebrochene Weltrekorde: die längste zurückgelegte Fahrtstrecke (11.247 km) und die längste Fahrtdauer (102 Stunden) eines Luftschiffs im Nonstop-Verkehr. Die Gesamtstrecke betrug über 34.000 km, die die Graf Zeppelin in 21 Tagen (inklusive der Zwischenstopps) bewältigte. Wie verlief die Reise? Im privaten Bordtagebuch eines Passagiers könnten die folgenden Eintragungen zu lesen sein:

Tag 1: Eine Stunde nach unserem Start in Friedrichshafen am Bodensee tauchte unter uns Ulm auf; die Spitze des mächtigen Münsters war zum Greifen nah. Über dem Messegelände am Berliner Funkturm drehten wir eine Schleife. Die Teilnehmer des dort tagenden Weltreklamekongresses wünschten unserer Weltfahrt per Funkbotschaft gutes Gelingen. Jetzt nehmen wir Kurs auf Danzig, Königsberg und Moskau. Die ganze Welt verfolgt unsere Pionierfahrt mit Spannung und Begeisterung.

Weltkarte mit Streckenverlauf
Streckenkarte der Weltrundfahrt 1929 der Graf Zeppelin

Tag 2: Die Nacht war bitterkalt. Da ich nicht schlafen konnte, ging ich in den Salon und blickte in die schwarze Nacht. Ich fühlte mich wie im Weltall – unzählige Sterne funkelten wie Diamanten direkt vor meinen Augen. Das Uralgebirge war am Morgen erreicht, eine riesige hügelige Waldlandschaft. Breite Feuerherde zwangen uns, zeitweise durch grau-roten Rauch zu fahren. Ein wahres Inferno. Dann blickten wir auf die sibirische Wildnis, die Taiga. Eine gespenstische Landschaft. Nur Sümpfe, Baumgruppen und mäandernde Flüsse. Jetzt gleiten wir über einen in allen Farben leuchtenden Blumenteppich. Der zum Dinner gereichte Mosel ist vorzüglich.

Luftbild von Wald und Seen
Waldlandschaft

Tag 3: In der Nacht blieb der Himmel bis in den Morgen hell. Wir haben den Bereich der Mitternachtssonne verlassen und nähern uns dem mittelsibirischen Hochland. Als das Schiff sich am Nachmittag durch die Schluchten des zweitausend Meter hohen Stanowoigebirges schlängelte, stockte uns der Atem. Man meinte, die Felswände berühren zu können.

Foto von einer Gebirgslandschaft
Im Gebirge

Tag 4: Wir haben Gegenden überquert, die noch kein Geologe betreten hat – schroff, kahl und menschenleer. Seit einer Stunde fahren wir nun in einen atemberaubend prachtvollen Sonnenuntergang, der die Erde unter uns mit goldenem Licht überflutet. Im Süden ist knapp über dem Horizont wie eine große gelbe Kugel schon der Vollmond zu sehen. Am Abend überrascht uns die Bordküche wieder mit einem exzellenten Menü: Chinakohl mit Bergkäse, in Birnenessig eingelegte Kräutersaitlinge, Landhuhn mit Schmorgurkenpüree (Hauptgang) und als Dessert Omelette surprise.  

Tag 5: Wir haben die Insel Hokkaido erreicht. Dreihundert Meter unter uns sahen wir einen Leuchtturm, weiße Sandstrände und kleine Fischerhütten. Die Bauern in den grünen Reisfeldern blickten wie erstarrt auf das Ungetüm am Himmel.

Foto von Reisterrassen
Reisterrassen

Am schneebedeckten Fujiyama vorbei ging es über Tokio zum Landeplatz in Yokohama. Unsere Landung wurde von Tausenden von Zuschauern in bunten Kimonos bejubelt. Nach einer Rundfahrt durch Tokio stiegen wir im Imperial Hotel ab. Heute Abend gibt die japanische Regierung uns zu Ehren ein Gala-Dinner. Nach den fünf Tagen an Bord freue ich mich auf eine heiße Dusche. In Tokio werden wir vier Tage bleiben

Foto vom Fujiyama
Fujiyama

Tag 9: Wir sind über dem Pazifik und blicken auf die endlose Wasserfläche. Kein Schiff ist zu sehen. Höhepunkt war ein Wal, der einsam die Wellenkämme durchpflügte. Obwohl wir einige Gewitterböen durchqueren mussten, blieb der Zeppelin nur leicht schaukelnd auf Kurs. Das Überfliegen der Datumsgrenze hat uns einen Kalendertag geschenkt.

Tag 10: Ich habe Freundschaft mit Lady Drummond Hay geschlossen, der einzigen Frau an Bord. Lady Hay ist Journalistin, die für die Hearst-Presse schreibt. Eine patente, immer gut gelaunte junge Dame. Meine Einladung nach Berlin hat sie angenommen. Ich werde sie dort in die „Dreigroschenoper“ begleiten. Das neueste Werk des jungen Dramatikers Bertolt Brecht ist jeden Abend ausverkauft.

Frau am Fenster
Lady Hay an Bord der Graf Zeppelin (1929). Lady Drummond-Hay (geb. 1895) arbeitete später als Kriegsreporterin. Im zweiten Weltkrieg wurde sie von den Japanern in Manila interniert und 1945 schwerkrank entlassen. Sie starb 1946 in New York.

Tag 11: Salutschüsse und Schiffssirenen begrüßten uns, als der Zeppelin über San Francisco einschwebte; der Lärm war ohrenbetäubend. Jetzt, in der Abendsonne, schimmert die Bucht von San Francisco in goldroten Farben. Ein fantastisches Panorama. In der Nacht grüßt Los Angeles mit unzähligen Lichtern zu uns hinauf. In der Früh werden wir in der Nähe landen.

Tag 12: Fast hätte die Reise um die Welt beim Landemanöver in Los Angeles in einer Katastrophe geendet: Wegen der hohen Außentemperatur am frühen Morgen musste der Zeppelin, um zu landen Gas ablassen. Da tauchte plötzlich eine Starkstromleitung auf. Erst im letzten Moment konnte der Steuermann das Schiff steil nach oben reißen; die Gondel schrammte nur wenige Meter an der Leitung vorbei, bevor sie auf dem Boden aufsetzte. Alle bekamen einen gehörigen Schreck!

Tag 13: Bei einem Bankett in Hollywood begegnete ich Ernst Lubitsch und Charly Chaplin. In unseren Gläsern war nur Wasser; in den USA herrscht Prohibition. (Den Whiskey hielten die Kalifornier in der Hosentasche versteckt.) Am Nachmittag hieß es wieder ‚Leinen los, Ship up’. Per Funktelegramm erreichte uns die Nachricht, dass Max Schmeling nach fünf Siegen in Folge in den USA im nächsten Jahr im New Yorker Yankee-Stadion gegen Jack Sharkey um den Weltmeistertitel boxen werde. Jubel bei den deutschen Passagieren.

Tag 14: Über Arizona und New Mexiko fuhren wir nach El Paso. Im Norden sahen wir den gewaltigen Colorado River. Kommandant Eckener will den Zeppelin auf über tausend Meter steigen lassen, so dass wir in der Ferne den rot leuchtenden Grand Canyon sehen könnten. Danach würde es über Wüstengebiete, endlose Weizenfelder und die Prärie über den Missouri in Richtung Ostküste weitergehen.

Wüstenlandschaft
Grand Canyon

Tag 15: Chicago präsentierte sich uns mit seinen Plätzen, den breiten Boulevards und seinen Uferpromenaden am Michigansee. Überall wimmelte es von Menschen, die den Zeppelin wie eine Himmelserscheinung bestaunten.

Tag 16: Am frühen Morgen überflogen wir die Wolkenkratzer von Manhattan. Ein Bild, das mich an Fritz Langs futuristischen Film „Metropolis“ erinnerte. Zwei Stunden später musste ich Lady Hay goodbye sagen. Sie und die meisten Amerikaner haben in Lakehurst das Schiff verlassen.

Tag 17: In zwei Tagen geht es mit neuen Gästen zurück nach Old Europe. Die Amerikaner sind ziemlich aufgeregt über widersprüchliche Börsenmeldungen. An der Wall Street sollen die Aktienkurse verrückt spielen.

Tag 21: Wir haben die Azoren überquert und Spanien, Frankreich, die Alpen und den Bodensee überflogen. In Friedrichshafen wartet auf uns bereits die Presse.

Aus: Horst Kleinert „Traumreisen mit dem Luftschiff“, Lüneburg 2017

Luftschiff über Menschenmasse
Mehrere Zehntausend begeisterte Menschen beobachteten am 4. September 1929 In Friedrichshafen die Landung des Luftschiffs Graf Zeppelin

Die Erfolgsstory der Graf Zeppelin ging weiter

1931 nahm das Schiff den regulären Flugbetrieb nach Recife und Rio de Janeiro auf. Die Zeitersparnis war beträchtlich: Ozeandampfer brauchten von Europa nach Südamerika mehr als zwei Wochen, die Graf Zeppelin nur drei bis vier Tage. Insgesamt überquerte das Luftschiff von 1928 bis 1937 140-mal den Atlantik nach bzw. von Nord- und Südamerika – ohne nennenswerte Probleme, immer vollbesetzt und zur Zufriedenheit der Passagiere. Nach dem Absturz der Hindenburg am 6. Mai 1937 wurde die Graf Zeppelin außer Betrieb genommen. In einer Halle auf dem Frankfurter Flughafen hatte die Bevölkerung noch lange danach Gelegenheit, das Schiff gegen Entgelt zu besichtigen. Der Andrang war riesengroß.

Reisen damals-Lesetipp: „Traumreisen mit dem Luftschiff. Aufstieg, Fall und Rückkehr der Zeppeline“
Der Autor Horst Kleinert beschreibt die Anfänge der zivilen Luftschifffahrt und ihre große Zeit bis zu ihrem jähen Ende am 6. Mai 1937. Dabei steht nicht die Technologie im Vordergrund, sondern das Reiseerlebnis für die Passagiere. Außerdem widmet sich das Buch der Frage, ob ein Neuanfang der touristischen Luftfahrt mit innovativen Großraum-Zeppelinen denkbar ist. Thurm-Verlag, Lüneburg (2017), 164 Seiten, € 14,90.
www.thurm-verlag.de
Cover des Buches Traumreisen mit dem Luftschiff
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