Am 5. Juli 1841 stehen Hunderte Bürger von Leicester in Mittelengland vor einer Eisenbahn mit neun offenen Waggons. Es herrscht Feiertagsstimmung. Der Halteplatz ist mit bunten Fahnen geschmückt, eine Blaskapelle spielt. In wenigen Minuten wird sich der Zug fauchend in Bewegung setzen. Sein Ziel ist eine Versammlung der Abstinenzbewegung im zwölf Meilen entfernten Loughborough. Veranstalter des Ausflugs ist der 33jährige Prediger und missionarische Alkoholgegner Thomas Cook.
Eigens für diese Tour hat er einen Zug der Midland Railway Company gechartert und einen äußerst günstigen Preis herausgehandelt. So kann er den Teilnehmern die Hin- und Rückfahrt für nur einen Shilling anbieten, musikalische Unterhaltung, belegte Brote und Tee inbegriffen. Ein akzeptabler Preis auch für diejenigen, die sich eine Fahrt mit diesem immer noch Aufsehen erregenden Verkehrsmittel nicht leisten konnten, und das sind die meisten. Dass der Genuss von Alkohol während des Ausflugs strikt untersagt ist, mag der eine und andere vielleicht bedauerlich gefunden haben. Die Fahrt mit einem „rasenden Dampfwagen“ (25 km/h) war aber zu verlockend, um auf das Abenteuer zu verzichten. Innerhalb kurzer Zeit hatte Cook alle 540 Tickets verkauft. Diese sogenannte Schinkenbrotfahrt gilt als die erste Pausschalreise „all inclusive“ in der Geschichte des modernen Tourismus.
Der Erfolg dieser Tour veranlasste Cook, weitere Reisen für Gruppen zu organisieren Als nächstes verfrachtete er an Sonn- und Feiertagen Ausflügler in großer Zahl in die Seebäder Großbritanniens. 1851 organisierte er für 165.000 Personen aus dem gesamten Königreich den Besuch der Weltausstellung in London. Transport, Verpflegung, Unterkunft und Reiseleitung – um nichts mussten sich die Reisenden kümmern. Und 1861 bot Cook seinen Landsleuten eine Reise nach Paris an, natürlich wieder als Komplettpaket. Zwar wetterte schon damals die Kulturelite gegen diesen „Massentourismus“, den Erfolg konnte das aber nicht bremsen. Cook eröffnete Büros in ganz Europa, kaufte oder errichtete Hotels und besaß später eine eigene Dampferflotte. Drei Dinge führte Cook ein, die das Reisen erleichterten: den Hotel-Voucher, den Travellerscheck und den Reisekatalog, in dem sämtliche Details einer Reise genau verzeichnet sind.
„Cook’s Tours“ (später umfirmiert in „Thomas Cook & Son“) organisierte Reisen jeder Art: Individual- und Gruppenreisen, Vergnügungsreisen, Bildungsreisen, Bäderreisen, Pilgerreisen, Reisen zu den Schlachtfeldern der Geschichte, einfache und luxuriöse Reisen per Ozeandampfer, Flussschiff oder Eisenbahn (auch mit dem Orient-Express) und ab 1919 mit dem Flugzeug. In der von Cook gecharterten Doppelrumpfmaschine der Graham-White-Company fanden in zwei Abteilen jeweils zwölf Passagiere Platz.
Eine Reise um die Erde in 222 Tagen
1878 veranstaltet Cook seine erste Weltreise: Mit dem Dampfschiff „Oceanic“ fährt er am 26. September mit acht Gästen von Liverpool nach New York. Mit der Eisenbahn geht es zu den Niagarafällen, durch Kanada nach Detroit und quer über den amerikanischen Kontinent nach San Francisco. Mit dem Dampfer reist die Gruppe über den Pazifik nach Asien, zuerst nach Japan, dann nach China. Weiter geht es auf dem Landweg. Für die Besichtigungen in Shanghai, Singapur, Ceylon stehen jeweils nur wenige Tage zur Verfügung, in der britischen Kronkolonie Indien bleibt man länger. Über das Rote Meer gelangen die Reisenden durch den Suezkanal ins Mittelmeer und über Ägypten, Palästina und Konstantinopel zurück nach England. 222 Tage war die kleine Gesellschaft unterwegs. Die Weltreise war so erfolgreich, dass Cook sie nun jährlich wiederholte.
Auch andere Veranstalter boten organisierte Weltreisen an, so zum Beispiel das Berliner Reisebureau Carl Stangen. Die Weltreise von Stangen, den man den „deutschen Thomas Cook“ nannte, dauerte acht Monate und kostete umgerechnet 100.000 Euro. (Viel billiger sind die heutigen Weltreisen auf den modernen Luxuslinern auch nicht.) Anfang 1905 verkaufte Carl Stangen sein Reisebüro an die Hapag, die nach dem großen Erfolg ihrer Kreuzfahrten das Tourismusgeschäft weiter ausbauen wollte. Die Hapag benannte das fusionierte Unternehmen in „Reisebüro der Hamburg-Amerika Linie“ um und schaffte es, in die Liga der größten Tourismusanbieter aufzurücken. Das Unternehmen existiert noch heute als Hapag-Lloyd Reisebüro.
Cook arrangierte die privaten Rivieratrips von Queen Victoria und 1898 die für ihren Prunk und Protz berühmte „Pilgerreise“ des deutschen Kaisers nach Palästina mit seinem 120köpfigen Hofstaat. Er hatte dabei weder Kosten noch Mühen gescheut. Als etwa vor Haifa die kaiserliche Yacht festmachte, landete Wilhelm II. mit seiner Gemahlin an einer eigens zu diesem Zweck errichteten Mole, dem „Kaiserdamm“. Mit 80 Kutschen und der Kavallerie im Gefolge fuhren sie in einer drei Kilometer langen Karawane auf Straßen durchs Heilige Land, die in Teilen extra für die Gäste angelegt worden waren.
Mit Cook fuhren die „Cookies“, wie man sie damals nannte, in die großen Städte Europas, in die Bade- und Kurorte, ins Mittelmeer und in den Orient. Cook-Büros gab es in allen Erdteilen, und als Thomas Cook 1892 starb, war sein Name längst zum Inbegriff des sorglosen Reisens geworden.
Im Land der Pyramiden
1865 organisierte Cook in Luxor die erste seiner legendären Nilkreuzfahrten. Sie gelten als Meilenstein in der Geschichte des Tourismus, da sie sich erstmals auch weniger Begüterte leisten konnten. Zunächst nutzte er einfache Dahabeahs, klassische ägyptische Segelboote, dann Schiffe, die immer luxuriöser wurden.
Zur Eröffnung des Suezkanals im November 1869 reiste Cook zusammen mit sechzig Engländern ins Pharaonenreich. Die Reise begann in Palästina und führte auf den Spuren von Moses über den Sinai nach Ägypten. 21 Schlafzelte, Feldküchen, drei Speisezelte und Scharen von Wach- und Dienstpersonal und mehrere einheimische Reiseleiter („Dragomanen“) sorgten für den Komfort und die Sicherheit der Gruppe. Cook und seine Touristen trafen unmittelbar vor der Eröffnung des Suezkanals in Kairo ein und erholten sich nach den Feierlichkeiten im Shepard’s Hotel, der Luxusherberge der orientalischen Hauptstadt.
Fernreisen auch für das (wohlhabende) Bürgertum
Cooks Kunden kamen aus ganz Europa und aus Übersee. Mit den Hotels, Eisenbahngesellschaften und Reedereien handelte er für seine Gruppenreisen so günstige Konditionen aus, dass seine Preise unter denen von vergleichbaren Individualreisen liegen konnten. Cooks Kreuzfahrten führten ins Mittelmeer, in den Orient oder in die Karibik. Geboten wurde ein ähnlicher Komfort und Luxus wie auf den Oceanlinern der großen Reedereien – und natürlich waren alle Leistungen „all inclusive“.
Auf den Kreuzfahrtschiffen kamen sich die Gruppenreisenden aus ganz Europa manchmal ganz schön ins Gehege. An Bord, so klagten die Engländer, wären es meist die Deutschen, die sich die besten Liegestühle sichern. Die deutschen Gäste sahen es genau umgekehrt.
Das Aus für den ältesten Reiseveranstalter der Welt
1928 verkaufen die Nachfahren von Thomas Cook das Familienunternehmen an einen ausländischen Konzern. 2019 musste die Thomas Cook Aktiengesellschaft Konkurs anmelden. Missmanagement, die Konkurrenz der Billiganbieter und das wachsende Online-Geschäft, das die Tourismusbranche umkrempelte, hatten den Veranstalter in die Pleite geführt.
Bildquellen
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