Historische Werbegrafik mit einer Weltkarte, die Verbindungen von Berlin zu Nordamerika, Südamerika, Südafrika und Palästina zeigt. Unten eine Adresse in der Friedrichstraße, Berlin.

Adieu Deutschland. Reisen ins Exil

Reisen in den 1930er Jahren: Die, die es sich leisten können, fahren in den „schönsten Wochen des Jahres“ zum Wintersport in die Alpen, im Sommer in die Nord-und Ostseebäder oder amüsieren sich an Bord der Ozeanampfer auf Kreuzfahrten ins Mittelmeer oder in den Atlantik. Selbst weniger Betuchte brauchen auf ihre Urlaubsreise nicht zu verzichten. Deutschland ist zum Reiseland geworden. Doch nicht für alle bedeutet das Reisen ungetrübtes Vergnügen und Erholung.

„Wir beginnen das Schiff zu lieben, seine Schönheit, seine schnelle Fahrt und die Zweckmäßigkeit seiner Einrichtungen.“ Die Berlinerin Margarete Edelheim ist auf ihrer Fahrt von Triest nach Haifa im Frühjahr 1935 von der italienischen Duilio begeistert. Sie kommt sich auf dem fast zweihundert Meter langen Dampfer mit seinen beiden Schornsteinen und den zwei Masten vor wie im Schlaraffenland: frischer Kuchen aus der Bordbäckerei, edle Weine, koschere Lebensmittel für die jüdischen Passagiere und sogar ein tägliches Bordmagazin. „Es ist merkwürdig, wie schnell man ein Heimatgefühl auf einem Dampfer bekommt. Und das ist – wichtiger als für den Touristen – von ungeheurer seelischer Bedeutung für Menschen, die ihre Heimat soeben für immer verlassen haben und einer ungewissen Zukunft entgegenfahren. Und derer gibt es genug auf dem Schiff“, schreibt sie in ihrem Reisebericht. Doch ein „Heimatgefühl an Bord“ verspürten nicht alle Emigranten, insbesondere nicht in den späteren dreißiger Jahren, als die Fluchten übers Meer weit weniger komfortabel verliefen. „Was für mich die größte Freude wäre“, verriet 1941 die Schriftstellerin Anna Seghers nach einer langen, hindernisreichen Überfahrt nach New York: „auf einem Laken schlafen, von einem weißen Tischtuch essen und in der Nacht die kleinen Kinder nicht mehr weinen hören.“

Historische Werbeanzeige des Reisebüros „Atlantic Express“ in Berlin. Auflistung von Reisezielen wie USA, Kuba, Mexiko, Südafrika, Australien und Neuseeland. Illustration der Geschäftsfront.
Anzeige im „Korrespondenzblatt Jüdische Auswanderung“ (Herbst 1937)

Die Berliner Malerin Anne Frank-Klein, die im Herbst 1940 für die Flucht nach Palästina auf dem Hochseedampfer Atlantic mit zehn bis zwölf Tagen gerechnet hatte, kam erst nach mehreren Wochen ans Ziel. Der achtzig Jahre alte griechische Postdampfer war mit 1875 Emigranten total überbelegt. Wegen technischer Defekte und des italienisch-griechischen Kriegs wurde die illegale Fahrt mehrfach unterbrochen. „Meine Koje liegt im 3. Tiefkeller unter der Wasserlinie. Das ganze ‚Zimmer‘ ist 6 x 10 m groß und 74 Menschen wohnen darin. Dreiviertel Stunde Schlangestehen vor der Toilette. Frühstück: etwas heißer Tee, ein Stück trocken Brot …“, notierte sie in ihr Tagebuch.

Gehen oder bleiben? Heimat oder Exil?

Nach der Boykottaktion am 1. April 1933, die sich gegen jüdische Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte richtete, und willkürlichen Verhaftungen begann die erste größere Emigrationswelle. Bevorzugte Fluchtländer waren die Tschechoslowakei, die Niederlande und Frankreich, England, Palästina und die USA. Trotz der bürokratischen Schikanen, die es in Deutschland zu erdulden gab, und immer größerer Vermögensverluste war die Ausreise möglich und wurde sogar von den Nazis gefördert. (Bei Flüchtlingen, die sich die Überfahrt nicht leisten konnten, übernahmen in der Regel deutsche und ausländische Hilfsorganisationen die Reisekosten.) Ging es nach Übersee, genossen die Exilanten den gleichen Komfort wie alle anderen Passagiere auch.

Eines dieser Schiffe war die Volendam der Holland-Amerika-Linie. Der Luxusdampfer bot Platz für 1175 Passagiere, davon 263 in der Ersten Klasse. Mit dem schwarzen Rumpf und dem senkrecht abfallenden Bug sah er wie eine verkleinerte Titanic aus. Am 19. Mai 1934 schifften sich die Emigranten Thomas und Katia Mann in Boulogne auf der Volendam ein undkamen am 29. Mai in New York an. Während der Überfahrt führte Thomas Mann ein Bordtagebuch, das er später in den essayistischen Bericht „Meerfahrt mit Don Quijote“ einfließen ließ. Seine Beobachtungen und Reflexionen über das Reisen und das Meer sind ein anschauliches Dokument aus der zu Ende gehenden Epoche der großen Luxusliner. Im April 1940 absolvierte die Volendam ihre letzte Transatlantikreise im normalen Linienverkehr während des Krieges. Am 30. August desselben Jahres wurde sie auf einer Fahrt nach Kanada mit evakuierten englischen Kindern an Bord von einem deutschen U-Boot torpediert, konnte aber repariert werden.

Historische Schwarz-Weiß-Fotografie von Menschen, die mit Gepäck eine Gangway hinauf ein großes Passagierschiff betreten. Im Hintergrund die Schiffsschornsteine und ein teils bewölkter Himmel.
Die Volendam (ca.1947)

Für die Juden in Deutschland wurde die Situation immer prekärer. Entrechtet, gedemütigt und beraubt stellte sich ihnen nicht mehr die Frage „gehen oder bleiben“. Das „Wohin“ und „Wie“ stand jetzt im Vordergrund. Im Ausland war man über die zunehmenden Flüchtlingszahlen beunruhigt – aber nicht aus Sorge um die Vertriebenen, sondern aus Angst von Flüchtlingen „überflutet“ zu werden. (Die Weltwirtschaftskrise hatte in den meisten Auswanderungsländern zu Massenarbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit geführt.)

Die Konferenz von Évian: ein moralisches Desaster

Am 6. Juni 1938 trafen sich im französischen Évian auf Initiative der USA 32 Staaten, um über Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge zu beraten. Die Konferenz geriet zur Farce: Bis auf die Dominikanische Republik weigerten sich sämtliche Teilnehmerstaaten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Die Juden in Deutschland saßen in der Falle. Ein halbes Jahr später, am 9. November 1938, begann mit der Pogromnacht („Kristallnacht“) eine neue Stufe des Grauens. Dass es im Land der Dichter und Denker „nicht noch schlimmer kommen könnte“, glaubte jetzt keiner der verbliebenen deutschen Juden mehr. Vor der Machtergreifung im Januar 1933 lebte eine halbe Million Juden in Deutschland; bis 1941 hatten davon zwei Drittel das Land verlassen.

Bis Herbst 1941 waren Ausreisen zwar immer noch möglich, vollzogen sich aber unter unsäglichen Bedingungen. Auch die Einreise- und Arbeitserlaubnisse in den Zielländern wurden für die Mehrheit an kaum zu erfüllende Voraussetzungen geknüpft. Zwangsläufig gerieten mehr und mehr exotische Länder wie Marokko und Algerien, Australien und Neuseeland, China, Japan und die lateinamerikanischen Staaten in den Fokus der Verfolgten. Kanada und die USA hatten sich bereits rigide abgeschottet, und in Palästina versuchte die britische Mandatsregierung mit allen Mitteln Zuwanderungen zu unterbinden.

Historische Schwarz-Weiß-Aufnahme eines großen Passagierschiffs mit zwei Schornsteinen auf offener See. Rauch steigt aus den Schornsteinen, der Himmel ist bewölkt.
Die City of Benares

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die Passagen über das Mittelmeer und den Nordatlantik wegen der Kriegshandlungen lebensgefährlich. Die vierundzwanzigjährige Monika Mann, Tochter von Thomas und Katia Mann, ist mit ihrem Ehemann im September 1940 auf der City of Benares auf dem Weg über Liverpool in die kanadische Emigration. Wie viele andere befürchtet sie, dass die Invasion Englands kurz bevorsteht. Am 17. September torpediert ein deutsches U-Boot das Schiff und trifft es am Heck. Monika Mann stürzt in den Atlantik, kann sich an einem Stück Holz festkrallen und treibt zwanzig Stunden im Wasser. Sie wird gerettet und macht sich nach ihrer Genesung erneut auf den Weg nach Amerika. Über die Hälfte der vierhundertsechs Personen an Bord, darunter auch ihr Ehemann und dreiundachtzig Kinder, die zur Sicherheit nach Kanada verschickt werden sollten, haben bei dem Unglück ihr Leben verloren.

Zehntausende Transitflüchtlinge, die nach Übersee oder Palästina gelangen wollten, saßen ohne Visa und Tickets für eine Schiffspassage in Frankreich und seinen Überseekolonien oder in Portugal fest – unter ständiger Angst, interniert, ausgewiesen oder an die Gestapo ausgeliefert zu werden. Der Arm der Nazis reichte weit über das Deutsche Reich und die besetzten Gebiete hinaus.

Auf dem Landweg in den Fernen Osten

Historische Weltkarte mit Reiserouten per Bahn und Schiff. Verbindungen führen von Berlin über Moskau nach Asien sowie über den Pazifik nach Nord- und Südamerika. Beschriftungen zeigen Reisezeiten.

Ab Mitte 1940 verblieb als einzige Möglichkeit, Deutschland legal zu verlassen, nur noch der Landweg in den Fernen Osten. Das „Jüdische Nachrichtenblatt“, dessen Erscheinen die NS-Behörden noch erlaubten, informierte detailliert über die Routen von Berlin mit der Transsibirischen Eisenbahn über Moskau nach Shanghai, das kein Einreisevisum verlangte. Wohl eher theoretischer Natur war die Empfehlung, von Wladiwostok nach Yokohama und dann über den Pazifik nach Süd- und Nordamerika zu reisen. Die Grenzen waren längst dicht.

Auf die rund 20.000 in Shanghai Gestrandeten muss die vom japanisch-chinesischen Krieg stark zerstörte Stadt wie ein Schock gewirkt haben. Ruinen und Schutt, Lärm und Chaos auf den Straßen, Kakerlaken, Ratten und Wanzen in den Notunterkünften, das feuchtheiße Klima, unzählige Bettler, Kulis und Obdachlose machten das Leben für die Flüchtlinge zur Hölle. Aber sie waren in Sicherheit. 1941 war auch damit Schluss; China nahm nur noch in Ausnahmefällen Flüchtlinge auf.

Historische Schwarz-Weiß-Aufnahme der Uferpromenade „The Bund“ in Shanghai. Blick auf belebte Straßen mit Autos und Fußgängern, koloniale Gebäude und den Huangpu-Fluss mit Booten.
Shanghai (1928)

Die Armada der Geisterschiffe

Hart traf es auch die Flüchtlinge, die auf gecharterten Schiffen auf den Meeren herumirrten. Ohne Pass und Visum und mit nicht mehr als den von den Nazis erlaubten zehn Reichsmark, mussten sie sich auf die Suche nach einem Zufluchtsort machen. Die Königsstein fuhr beispielsweise mit 780 Flüchtlingen an Bord wochenlang über die Meere, bis sie endlich in Caracas vor Anker gehen durfte.

Die St. Louis musste sogar nach einer Odyssee über den Atlantik nach Europa zurückkehren. Schlepperbanden nutzen die Gunst der Stunde und verkaufen zu horrenden Preisen „sichere“ Passagen auf oft seeuntüchtigen, überfüllten Booten. „Zehntausende wandernde Juden werden heute wie Tiere durch die Straßen der Niemandslande und der Niemandsmeere gejagt. Ohne Heim kampieren sie zwischen den Grenzen Deutschlands und seiner Nachbarn“, schrieb im Juli 1939 das Exilmagazin „Das neue Tagebuch“.

Bis Ende 1941 konnten noch 18.000 bis 20.000 Juden Deutschland verlassen. Dann stoppten die Nazis die Auswanderungen und begannen mit der Deportation der noch verbliebenen 165.000 Juden in die Lager im Osten. Die „Endlösung der Judenfrage“ hatte begonnen.

Quellen (u.a.): K. v. Soden, „Und draußen weht ein fremder Wind …“, Aviva 2016 / „Heimat und Exil“, Begleitbuch zur Ausstellung, Suhrkamp 2006

Reisen damals-Lesetipp: Kristine von Soden: „Und draußen weht ein fremder Wind …“ Über die Meere ins Exil
Von den Nationalsozialisten verfolgt, verließen Hunderttausende Emigranten ihre Heimat in Richtung Palästina, Amerika, Südafrika oder Shanghai. Wer half ihnen bei der Beschaffung von Pässen, Aus- und Einreisepapieren, Transitvisen, Schiffskarten und finanziellen Unterstützungen? Wie ging die Ausreise vonstatten, auf welchen Schiffen und von welchen Häfen aus fuhren sie ins Ungewisse? Und wie sah ihre Ankunft aus? Anhand von Tagebüchern, Briefen, Gedichten sowie unveröffentlichten Dokumenten zeichnet Kristine von Soden die Wege von Schriftstellerinnen. Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Ärztinnen und Juristinnen ins Exil nach. Im Mittelpunkt stehen dabei deren Fluchten über die Meere von 1933 bis zum Ausreiseverbot 1941.
256 Seiten, 2. aktualisierte Edition, AvivA Verlag Berlin (2020) (Anzeige)

Bildquellen

  • Adieu-Deutschland2: Korrespondenzblatt Jüdische Auswanderung (1937), Deutsches Exilarchiv 1933-1945 | All Rights Reserved
  • Adieu-Deutschland3: Nationaal Archief via Wikimedia Commons | CC0 1.0 Universal
  • Adieu-Deutschland4: Wikimedia Commons | no known copyright restrictions
  • Adieu-Deutschland5: Jüdisches Nachrichtenblatt vom 21. Juni 1940, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 | All Rights Reserved
  • Adieu-Deutschland6: Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
  • Adieu-Deutschland1: Korrespondenzblatt Jüdische Auswanderung (1937), Deutsches Exilarchiv 1933-1945 | All Rights Reserved

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