Dampflok

Der Orient-Express: Geheimagenten, Ganoven und Galane

Seit seiner Premierenfahrt 1883 von Paris nach Istanbul ist der Orient-Express Inbegriff für Glanz und Glamour, Stil und Eleganz der oberen Zehntausend. Der „König der Züge“ galt auch als „Zug der Könige“. Aber königlichen Geblüts brauchte man keinesfalls zu sein, um im Zug wie ein König behandelt zu werden. Nur Geld, viel Geld, musste man haben – wie man es erworben hatte, war egal. Kurtisanen und Schmuggler, Waffenhändler und Finanzmagnaten, Aristokraten und Diplomaten, Maharadschas, Revolutionäre, Primadonnen und Hochstapler waren unter den Passagieren und prägen unser Bild vom abenteuerlichen Reisen voller Luxus und Abenteuer. Der Orient-Express zog aber auch von Beginn an eine Gruppe Reisender an, mit der die Compagnie ursprünglich nicht gerechnet hatte: Touristen, die bereit waren, viel Geld auszugeben, nur um interessante historische oder landschaftliche Orte zu sehen, die bislang nur schwer erreichbar waren. Kein Wunder, dass der Orient-Express viele Schriftsteller und Regisseure animierte, spannende Geschichten über den Zug zu erfinden.

Der Mann in Abteil 7

Zu den schillerndsten Personen, die der Orient-Express beförderte, gehört zweifellos Basil Zaharoff. Er wuchs als Angehöriger der unterdrückten griechischen Minderheit in den Elendsvierteln Konstantinopels auf und verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst mit kleinen und größeren Gaunereien Der junge Mann erwies sich dabei als so geschickt, dass er dabei genügend Geld für seine Ausreise nach England zusammenbrachte. Dank seiner Skrupellosigkeit und seines Verhandlungsgeschicks wurde er der erfolgreichste und vermögendste Waffenhändler in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Sein Geschäftsmodell war „bilateral“, das heißt, er bot in potenziellen Kriegen immer beiden Konfliktparteien seine Waffen an. Zaharoff hatte keinen ständigen Wohnsitz. Er lebte lange Jahre nur in Grandhotels wie das Ritz in London und Paris, das Imperial in Wien, das Grande Bretagne in Athen oder das Pera Palace in Konstantinopel und verbrachte buchstäblich Wochen im Orient-Express (und zwar immer im für ihn reservierten Abteil Nr. 7). Er betrachtete den Zug seit seiner ersten Fahrt 1885 als seinen Glücksbringer, zumal er dort auch seine spätere Frau kennenlernte. Als Hochzeitsgeschenk kaufte er ihr die Spielbank in Monte Carlo.

Foto Basil Zaharoff
Basil Zaharoff (1928)

Die Lustreisen des Königs

Nicht immer beförderte der Orient-Express Passagiere, mit denen man im Speisewagen bei einem Glas Wein gern zusammengesessen hätte. Zu den unangenehmsten Fahrgästen gehörten sicherlich einige Balkanherrscher, die für ihre „Sonderwünsche“ berüchtigt waren, und der belgische König Leopold II. Dessen Geldgier wurde nur noch übertroffen von seinem Geiz. Leopold hatte sich durch die barbarische Ausbeutung „seiner“ Kongo-Kolonie ein Riesenvermögen angehäuft, doch Trinkgelder durfte das Personal von ihm nicht erwarten. Der König nutzte für seine Geschäfts-, Verwandten- und Lustreisen regelmäßig, und oft inkognito, den Orient-Express. Die Compagnie musste im selben Zug immer auch Platz für seine jeweilige Mätresse sichern. (Seine Vorliebe für Damen mit ausladenden Kurven brachte Leopold den Spitznamen „König Popold“ ein.) Niemand machte darüber viel Aufhebens. Einige Conducteure der CIWL verdienten sich jahrelang ein Zusatzbrot, indem sie für freigiebige Passagiere Zuhälterdienste leisteten. Der betreffende Schaffner setzte sich telegrafisch mit einem Bahnhofsvorsteher in Verbindung, und wenn der Zug die Station erreichte, stiegen willige Damen ein und eine oder zwei Stationen später wieder aus. Berichtet wird auch von einer italienischen Gräfin, die davon lebte, wohlhabende Geschäftsleute im Speisewagen zu kontaktieren und im gräflichen Abteil mit Liebesdiensten zu verwöhnen.

Foto von Leopold 2
König Leopold II. (1894)

Die Monarchen der großen europäischen Staaten benutzten den Orient-Express nur selten, sie reisten lieber in eigenen königlichen Zügen oder Salonwagen. Ausnahme war Edward VIII., der noch als Prince of Wales in der Zeit zwischen den Weltkriegen zahlreiche Reisen mit dem Orient-Express nach Paris oder Wien unternahm, wo er in den Nachtlokalen Vergnügen suchte und wohl auch fand. (Das war, bevor „der begehrteste Junggeselle der Welt“ Miss Wallis Simpson kennenlernte und abdanken musste.)

Historischer Speisewagen
CIWL-Speisewagen, 1930er Jahre (Replik)

Glamour der „Goldenen Zwanziger“

Zu den unvergessenen Stars der Bühne und der Leinwand, die regelmäßig besonders zwischen Paris, Berlin, St. Petersburg, Wien, Budapest und Bukarest im Orient-Express reisten, gehörten Sarah Bernhardt, Maurice Chevalier und Marlene Dietrich. Dazu kamen Zirkusartisten, Musiker und Dirigenten, Primaballerinen und Showtruppen auf ihren Tourneen durch Europa. Als im September 1931 auf Fahrt von Istanbul nach Wien die Bombe eines faschistischen Attentäters den Zug zum Entgleisen brachte, gab es zahlreiche Verletzte und Tote. Mit an Bord war die 26jährige Josephine Baker. Sie kam unverletzt davon und trug zur Verhütung einer Panik in den verbliebenen Waggons bei, indem sie eines ihrer Lieder sang. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten unter anderem Brigitte Bardot und Fürstin Gracia Patricia zu den gelegentlichen Benutzern des Orient-Express.

Foto Maurice Chevalier
Eleganz der 20er Jahre: Maurice Chevalier
Foto von Marlene Dietrich
Marlene Dietrich
Josephine Baker
Josephine Baker

Eine andere berühmte Tänzerin, die mit dem Orient-Express reiste, war die Holländerin Margarete Gertrud Zelle, angeblich die erste Nackttänzerin im Paris der Belle Époque. Gertrud Zelle, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Mata Hari, kam aus einfachsten Verhältnissen und feierte mit ihren improvisierten orientalischen Tänzen in allen Hauptstädten des Kontinents große Erfolge. Ihre Liebesverhältnisse mit Diplomaten aus den verfeindeten Staaten Europas wurden ihr zum Verhängnis. 1917 wurde sie in Frankreich wegen Geheimnisverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ob sie wirklich jemals eine Spionin war, ist unklar.

Foto von Mata Hari
Mata Hari

Von Anfang an wurde der Orient-Express in Reiseberichten und Büchern verewigt. Am bekanntesten ist natürlich Agatha Christies Roman „Mord im Orient-Express“, den sie in ihrem Zimmer im Pera Palace schrieb. Angeregt von eigenen Fahrten und den mehrfach aufgetretenen Schneeverwehungen, die den Zug blockierten, geht ihr Meisterdetektiv Hercule Poirot auf der Fahrt von Istanbul nach Paris im eingeschneiten Schlafwagen auf Mördersuche.

Foto von Agatha Christie
Agatha Christie

Bis heute Stoff für die Traumfabriken

Graham Greene schrieb 1932 die Erzählung „Orient-Express“, und Ian Fleming ließ in „Liebesgrüße aus Moskau“ 1956 seinen Superagenten James Bond 007 im Simplon-Orient-Express den Auftragskiller einer Terrororganisation auf gewohnt elegante Art unschädlich machen. „Liebesgrüße aus Moskau“ wurde wie auch andere Orient-Express-Stoffe mit großem Erfolg verfilmt, „Mord im Orient-Express“ gleich mehrmals. Alfred Hitchcock inspirierte der Zug zu seinem Meisterwerk „Eine Dame verschwindet“ von 1938. Selbst in einer Episode der SF-Serie „Raumschiff Enterprise“ fährt der Orient-Express als Hologramm durch das Kommandodeck.

Filmplakat Orient Express
Filmplakat Orient-Express

Auch der heute fast vergessene deutsche Film „Orient-Express“ des Regisseurs Viktor Tourjansky aus dem Jahr 1944 nutzte den Mythos des Zuges für eine Kriminalgeschichte. Wie die Titanic oder das Luftschiff Hindenburg gehört der Orient-Express zu den großen Mythen, die wohl für immer im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert sein werden.

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