Zeichnung von Carl Baedecker

Mit dem Baedeker auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten

Mit dem Siegeszug von Dampfschiff und Eisenbahn änderten sich auch die Wünsche und Bedürfnisse der Bildungsreisenden aus dem wohlhabenden Bürgertum. Die Devise lautete jetzt, in möglichst kurzer Zeit viele Ziele und Sehenswürdigkeit, nun ja, „abzuhaken“ (und dabei unnötige Geldausgaben zu vermeiden). Gefragt waren praktische Informationen über Bahnhöfe, Verkehrsverbindungen, Hotels und Museen, Kaffeehäuser, Preise, Trinkgelder usw. und über Gefahren, die in fremden Gestaden auf unerfahrene Touristen lauerten. Der Buchhändler Karl Bädeker erkannte die Marktlücke und gab 1832 in seiner Koblenzer Verlagsbuchhandlung seinen ersten Reiseführer heraus („Rhein­rei­se von Mainz bis Köln. Hand­buch für Schnell­rei­sen­de“), der zum Vor­läu­fer einer Vielzahl von Rei­se­hand­bü­chern mit dem charakteristischen roten Bucheinband wer­den soll­te. Zunächst widmeten sich die Reiseführer seines Verlags nur Mitteleuropa, nach dem Tod von Karl Bädeker kamen fernere Länder hinzu.

Seiten aus altem Reiseführer
Baedeker „Italien“, 1908) (Privatarchiv Kleinert

Karl Bädeker, der auch selbst für die Reiseführer recherchierte, war ein Genauigkeitsfanatiker oder, wie man im wahrsten Sinne des Wortes auch sagen könnte, ein Erbsenzähler. So wurde er 1847 auf den Treppen zum Turm des Mailänder Doms dabei beobachtet, wie er alle zwanzig Stufen eine Erbse aus seiner Weste holte und sie in die Hosentasche steckte. Oben angekommen zählte er die Erbsen, multiplizierte sie mit zwanzig und addierte die restlichen Stufen hinzu: „194 Stufen im Innern des Gebäudes, 300 am Äußern, davon 150 für den Turm.“ So steht‘s dann auch in „Baedeker’s Ober-Italien“ von 1855. Akribie, Zuverlässigkeit und die sachlich-knappe Sprache wurden zum Markenzeichen der Baedeker-Reisehandbücher.

Nach dem Umzug des Verlags in die Buchmetropole Leipzig im Jahr 1872 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs umfasste die Baedeker-Palette über fünfzig Titel, darunter englisch- und französischsprachige Ausgaben und Klassiker wie „Palästina und Syrien“, „Ägypten“, „Russland“, „Nordamerika“ und „Indien“. Regelmäßig wurden die Bücher aktualisiert und ergänzt.

Nicht nur das Bürgertum nutzte den Baedeker für Reisen im In- und Ausland. Auch Autoren wie Jules Verne und Karl May ließen sich beim Schreiben ihrer Romane vom Baedeker inspirieren. Karl May folgte auf seiner großen Orientreise 1899/1900 darüber hinaus selbst dessen Empfehlungen. Er machte sich zwar über die Leute, die „krampfhaft den roten Führer“ in der Hand hielten lustig, ließ aber kaum eine der beschriebenen Sehenswürdigkeiten aus. Mark Twain und der britische Kämpfer für die arabische Unabhängigkeit, Lawrence von Arabien, sind weitere Beispiele für prominente Reisende, die sich am Baedeker orientierten.

Altes Gemälde mit Reisenden
Reisende um 1900, bewaffnet mit Feldstecher und „Baedeker“ (hinten links). Gemälde von Alfred Menzel (1892)

Den Ersten Weltkrieg überstand der Verlag noch relativ unbeschadet, in ernsthafte Schwierigkeiten kam er erst in der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Ein staatlicher Kredit rettete den Verlag, machte ihn aber von den neuen Machthabern in Deutschland abhängig. In die Reiseführer floss zunehmend NS-Propaganda. So nennt zum Beispiel der Band „Berlin“ von 1936 als wichtigen Besuchsort das Sterbezimmer des „Märtyrers der Bewegung“, des SA-Sturmführers Horst Wessel. 1943 erschien der Band Das Generalgouvernement. Der Band beschrieb in klassischer Baedeker-Manier die besetzten polnischen Gebiete als von germanischer Kolonisation geprägtes urdeutsches Kulturland.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte ein Großneffe Karl Bädekers das Unternehmen weiter. Heute gehört der Verlag zu MairDumont bei Stuttgart und gibt unter der Dachmarke „Baedeker-Allianz-Reiseführer“ über 160 Reiseführer heraus. Trotz der Konkurrenz von Handy oder Tablet schätzen unzählige Touristen den Baedeker wegen seiner Fülle praktischer Informationen und der nüchternen Sprache nach wie vor – auch wenn manche Bände kaum mehr in eine Jacken- oder Manteltasche passen.

Holzstich einer Ruinenstadt
Holzstich des Hadriantors in Palmyra. Aus dem Baedeker „Palästina und Syrien“ (1882). 2015 wurde die Ruinenstadt fast vollständig von der IS-Miliz zerstört
Reisen damals-Lesetipp (1): Die Welt des Baedeker: Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830-1945
Der Verfasserin Susanne Müller erzählt am Beispiel des populärsten europäischen Reiseführers die Geschichte des modernen Tourismus von den Anfängen um 1830 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie ist eng verwoben mit der Aufklärung und dem Aufstieg des Bürgertums, der Entstehung von Dampfschifflinien, der Eisenbahn sowie der modernen Fotografie. 
354 Seiten, Paperback, 34,95 €, Campus Verlag, Frankfurt a. M., 2012
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Reisen damals-Lesetipp (2): Baedeker's Handbuch für Schnellreisende
Christian Koch und drei weitere Autoren haben skurrile Anekdoten aus den ersten 100 Jahren der Baedeker-Reiseführer zusammengetragen und unterhaltsam kommentiert. Eine interessante Lesereise in die Anfänge des heutigen Tourismus.
384 Seiten, Hardcover, 17,95 €, DuMont Reiseverlag / Karl Baedeker Verlag, Ostfildern, 2020
Link zu Amazon: Christian Koch: Baedeker's Handbuch für Schnellreisende

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