Kapitän in Uniform steht vor dem Passagierschiff St. Louis mit Heimathafen Hamburg am Kai.

Die Irrfahrt der St. Louis

Zwischen 1933 und 1939 verließen Hunderttausende Regimegegner, Juden und in Ungnade gefallene Kulturschaffende das Deutsche Reich. Ihre Fluchtwege führten sie in die ganze Welt. Für die meisten war es eine Reise ohne Wiederkehr – wie auch für fast alle Passagiere auf dem Oceanliner St. Louis.

Das Passagierschiff St. Louis verlässt mit Flaggen geschmückt den Hafen, umgeben von kleinen Begleitbooten.
Die St. Louis im Hafen von Hamburg

Der Musikdampfer – 173 Meter lang, drei luxuriöse Decks mit Spiegelsalon, Pool, Kino und Tanzkapelle – war ein Traumschiff der Hamburg-Amerika-Linie. Neben dem Linienverkehr nach New York setzte die Reederei die St. Louis auch für Kreuzfahrten ein, besonders im Frühjahr und Herbst zu den Kanarischen Inseln, nach Madeira und nach Marokko. Ab 1934 unternahm das Schiff jeweils mit 900 Urlaubern an Bord erstmals Reisen der nationalsozialistischen Freizeitorganisation KdF („Kraft durch Freude“) nach Norwegen. Bekannt wurde die St. Louis der Weltöffentlichkeit durch ihre sich Mitte Mai bis Mitte Juni 1939 hinziehende Odyssee. Mit fast eintausend jüdischen Emigranten, die zur Auswanderung aus dem nationalsozialistischen Deutschland gezwungen wurden, fuhr der Dampfer am 13. März 1939 von Hamburg nach Kuba. Die meisten hatten gültige US-Papiere und wollten von Kuba in die Vereinigten Staaten weiterreisen.

Vom Traumschiff zum Albtraumschiff

In dem Moment, in dem die St. Louis den Hafen verließ, wurden die Passagiere in eine andere Welt versetzt. An Bord herrschte Urlaubsstimmung. Der Mann, der dafür verantwortlich zeichnete, war der Schiffskapitän Gustav Schröder. Seine erste Dienstanweisung an seine Mannschaft lautete, sie sollten die jüdischen Flüchtlinge mit demselben Respekt und derselben Sorgfalt behandeln wie andere Vergnügungsreisende. Die Passagiere bekamen jeden Tag exquisite Menüs serviert, schwammen im Pool, spielten Spiele und sahen Filme im Schiffskino. Es gab einen Kindergarten, Modeschauen wurden veranstaltet, und jede Nacht spielte eine Kapelle im Ballsaal zum Tanz auf. Die Angst und die Niedergeschlagenheit, vor der die Passagiere geflohen waren, schienen Stück für Stück zu verschwinden. Dass noch wenige Monate zuvor auf dem Nazi-Dampfer Sieg-Heil-Rufe und das Horst-Wessel-Lied erschallt waren, konnten sich die Emigranten kaum mehr vorstellen.

Passagiere in Badeanzügen schwimmen und entspannen in einem Pool an Bord eines historischen Kreuzfahrtschiffs.
Badefreuden auf der St. Louis

Aber es gab etwas, was weder die Passagiere noch der Kapitän wussten: Kurz bevor die St. Louis Hamburg verließ, hatte der kubanische Präsident Federicu Bru ein Dokument unterzeichnet, das alle Transitvisa für ungültig erklärte.

Als die Flüchtlinge am 27. Mai 1939 in Kuba ankamen, hatten sie keine Ahnung von den Problemen, die sie erwarteten. Die St. Louis machte frühmorgens am Pier von Havanna fest, und die ersten Passagiere gingen von Bord. Doch dann zwangen bewaffnete Polizisten alle zurück aufs Schiff. Die Passagiere, die ihr Gepäck bereits an Deck gebracht hatten, waren entsetzt. Ebenso ging es den vielen deutschen und amerikanischen Verwandten, die in Kuba eingetroffen waren, um ihre Angehörigen endlich wiederzusehen.

Zwei Passagiere blicken lächelnd aus einem Bullauge eines historischen Schiffes.
Die Freude über die Ankunft in Havanna währte nicht lange

Die Odysee beginnt

Am 1. Juni ordnete Präsident Bru an, das Schiff habe die kubanischen Gewässer zu verlassen. Als einen Tag später die St. Louis von der kubanischen Marine aus dem Hafen geleitet wurde, konnten die Passagiere ihren Verwandten am Kai gerade noch unter Tränen auf Wiedersehen zurufen. Dann befand sich der Dampfer wieder auf hoher See. Kapitän Schröder war jedoch entschlossen, die Flüchtlinge in Sicherheit zu bringen, trotz eines Telegramms aus Hamburg, das ihn aufforderte, sofort nach Deutschland zurückzukehren.

Die St. Louis nahm jetzt Kurs auf Florida. Als Miami in Sichtweite kam, hofften der Kapitän und seine Passagiere, dass sie in den Hafen einlaufen könnten. Doch die USA waren nicht bereit, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Die Vereinigten Staaten hatten beschlossen, das rigide Quotensystem für Immigranten zu verschärfen. Auch die kanadische Regierung weigerte sich, die Geflüchteten aufzunehmen. Wie in den USA und in Kuba war auch in Kanada die gegen die Geflüchteten gerichtete Stimmung geprägt von der in den Jahren der Weltwirtschaftskrise entstandenen Angst vor Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Die St. Louis musste mit den verzweifelten Menschen an Bord wieder nach Europa zurückfahren. Mittlerweile wurde fast auf der ganzen Welt über die Odysee der St. Louis berichtet. Genutzt hat es nichts. Kapitän Schröder verhandelte, klagte, und schrieb Dutzende Telegramme. „Der Erfolg war gleich null“, fasste er das niederschmetternde Ergebnis seiner Bemühungen zusammen.

Die Moral sank auf dem Schiff, als es kehrt machte. Eine kleine Gruppe junger Männer versuchte noch, die Brücke zu stürmen, gab aber schnell die Meuterei entmutigt auf. „Die Leute waren sehr deprimiert“ erinnerte sich die damals 16-jährige Hilde Pander. „Auf der Rückfahrt war das Essen anders. Es schmeckte wie Hammel. Es war keine Vergnügungsfahrt mehr. Man tanzte nicht mehr, sah keine Filme mehr, schwamm nicht mehr im Pool. Alles hatte sich verändert.“

Kapitän Schröder war entschlossener denn je, einen sicheren Zufluchtsort für die Passagiere zu finden. So fasste er einen verzweifelten Plan: Wenn die St. Louis Großbritannien erreichte, wollte er einen Zusammenstoß an einem Felsen provozieren, das Schiff in Feuer setzen, um auf diese Weise eine Evakuierung nach England zu erzwingen.

Keine Rettung, nur ein Aufschub

Als Schröder noch über die Risiken nachdachte, geschah das Unerwartete: Noch bevor die St. Louis den Ärmelkanal erreichte, erklärten sich die Regierungen von Belgien, der Niederlande, Frankreich und Großbritannien zur Aufnahme der Emigranten bereit, und am 17. Juni 1939 gingen die Flüchtlinge in Antwerpen von Bord. Von den 937 Passagieren an Bord der St. Louis kamen im Sommer 1939 die meisten in den Niederlanden, Belgien und Frankreich unter. Als ein Jahr später deutsche Truppen in diese Länder einmarschierten, wurden 254 Flüchtlinge in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Der Gruppe, die nach England einreisen durfte, blieb dieses Schicksal erspart.

Eine Familie mit Kindern posiert in Mantel und Hut für ein Foto auf einer Straße der 1930er Jahre.
Passagiere der St. Louis nach ihrer Ankunft in Frankreich

Kapitän Schröder wurde nach der Rückkehr an einen Schreibtisch der Deutschen Seewarte in Hamburg versetzt. 1957, zwei Jahre vor seinem Tod erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Band und wurde postum von Yad Vashem in Israel zu einem „Gerechten unter den Völkern“ ernannt. Er starb am 10. Januar 1959 im Alter von 73 Jahren in Hamburg. Den Kapitän hatte das Drama vor Havanna nie mehr losgelassen. Seine Memoiren endeten mit dem Satz: „Niemals möge die Mahnung vergessen werden, die das tragische Schicksal der schwergeprüften Passagiere für die gesamte Menschheit bedeutet: damit sich Grausamkeit und Unmenschlichkeit nie wieder breitmachen können.“

Die St. Louis erhielt bei einem Luftangriff auf Kiel im August 1944 mehrere Bombentreffer und wurde versenkt. 1946 wurde das Schiff gehoben und notdürftig repariert. An der Altonaer Landungsbrücke diente die St. Louis bis April 1950 als Hotelschiff und wurde zwei Jahre später abgewrackt. An der Brücke 3 der St. Pauli-Landungsbrücken in Hamburg erinnert seit 2000 eine Gedenktafel an das Schicksal der Passagiere der St. Louis.

Reisen damals-Lesetipp: „Kapitän Schröder und die Irrfahrt der St. Louis“ 
Fast achtzig Jahre nach der Irrfahrt der St. Louis entdeckte der Großneffe des Kapitäns Gustav Schröder auf seinem Dachboden eine alte Seekiste mit Aufzeichnungen und Fotos von Gustav Schröder. Das Autorenteam Stefan Lipsky, Manfred Uhlig und Jürgen Glaevecke haben daraus ein spannendes Buch (mit 110 Fotos aus Schröders Nachlass) über die Geschehnisse auf der St. Louis gemacht.
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