Kurz vor dem Ersten Weltkrieg entbrannte unter den englischen und deutschen Reedereien ein fast schon absurder Wettbewerb um den Titel des größten Passagierschiffs der Welt. Die Vaterland, nach dem Imperator das zweite Schiff der sogenannten Imperator-Klasse der Hapag, war 290 Meter lang (nicht wie auf der Postkarte oben angegeben 276 Meter) und hatte Platz für rund 4.000 Passagiere. Von der deutschen Presse wurde sie mit Recht als „größter Dampfer der Welt“ gefeiert und behielt diesen Titel bis 1934. Die 1. Klasse war für 700, die 2. Klasse für 450 und die 3. Klasse für 750 Passagiere zugelassen. Im Zwischendeck hatten 1772 Passagiere Platz. Die Auswanderer im Zwischendeck waren in Mehrbettkammern deutlich besser untergebracht als auf den spartanischen Zwischendecks der Konkurrenz. Dies galt insbesondere für die sanitären Anlagen.
Albert Ballin, der Generaldirektor der Hapag, wollte mit der Vaterland und des ebenfalls 1914 gebauten Schwesterschiffs Bismarck neue Maßstäbe setzen. Nicht nur was die Größe anbelangt, sondern auch den Luxus. Erstmals verfügte ein Ozeandampfer neben einer 1. und 2. Klasse und dem für Auswanderer vorgesehenen Zwischendeck über eine dritte Klasse. Diese neue 3. Klasse bot den Reisenden sehr viel mehr Platz und Komfort als das Zwischendeck und war auch für weniger Vermögende erschwinglich. Ausstattung und Komfort der 2. Klasse entsprachen in ihrer Qualität der 1. Klasse älterer Passagierdampfer. Neben einem Speisesaal, einem Gesellschaftsraum, dem Damenzimmer und einem Rauchsalon gab es hier noch eine Turnhalle und ein Terrassencafé.
Mit der Vaterland hatte Albert Ballin es endlich geschafft, zu den Konkurrenten auf der Nordatlantik-Linie, der Norddeutschen Lloyd, der Cunard Line und der White Star Line aufzuschließen und sie sogar zu übertreffen. Sicherheitsvorrichtungen, Technik und Manövrierfähigkeit wurden so verbessert, dass ein Unglück wie das der Titanic oder das Schlingern des Vorgängers der Vaterland, des Imperators, nach menschlichem Ermessen nicht mehr auftreten konnten.
Das stolze Flaggschiff der Hapag
Im Innern der Vaterland wurde wie schon auf dem Imperator den Passagieren der 1. Klasse purer Luxus geboten. Edelholzvertäfelte Wände, vergoldete Geländer, Buntglasscheiben, ein Gesellschaftsraum über zwei Decks, mehrere Speisesäle, Gymnastikhalle, ein großer Swimmingpool und zum Beispiel ein Wintergarten standen ihnen – Politiker, Künstler, Industrielle, reiche Müßiggänger – zur Verfügung. Im besonders exklusiven Ritz-Carlton-Restaurant speiste man unter einer bemalten Kuppel, natürlich à la carte. Ein Novum war die repräsentative Ladenzeile, ein Umsatzbringer, auf den heute kein Kreuzfahrtschiff verzichtet. Passagiere, die Wert auf noch mehr Luxus legten, konnten eine der beiden 230 qm großen Suiten („Kaiserzimmer“) für rund 5.000 US-Dollar pro Überfahrt buchen. Das klingt erst einmal nicht viel, es wären aber nach heutigem Gegenwert etwa 140.000 Dollar!



Zwangspause für den Riesendampfer
Am 14. Mai 1914 brach die Vaterland vor 50.000 Schaulustigen von ihrem Heimathafen Hamburg zu ihrer Jungfernfahrt nach New York auf. Sieben Tage später war sie am Ziel. Doch nach nur sieben Atlantiküberquerungen war Schluss: Der Kriegsbeginn zwang die Vaterland im Hafen von New York vor Anker zu gehen. Ein Teil der Besatzung blieb an Bord und sorgte dafür, das Schiff intakt zu halten. Für die New Yorker war der riesige Luxusliner eine Sensation – und ein beliebter Treffpunkt der High Society der Stadt. Drei Jahre später, die Vereinigten Staaten hatten Deutschland den Krieg erklärt, wurde das Flaggschiff der Hapag von den USA konfisziert und von der Navy übernommen. Die Vaterland wurde zum Truppentransporter umgebaut und bekam einen neuen Namen. Als USS Leviathan beförderte sie bis zu 14.400 amerikanische Soldaten auf den Fahrten nach und von Europa.

Im September 1918 hatte das „Seeungeheuer“ (= Leviathan) auf einem der Transporte einen mörderischen blinden Passagier an Bord: Ein mutiertes hochansteckendes Vogelgrippevirus von einer Geflügelfarm in Kansas/USA infizierte 2000 der 9000 GIs, die sich auf dem Weg an die europäische Front befanden. 100 Soldaten starben bereits auf der Überfahrt. Von Frankreich und England aus verbreitete sich das Virus über ganz Europa und entwickelte sich rasch zu einer tödlichen Pandemie. Bis Anfang der zwanziger Jahre erlagen der „Spanischen Grippe“ weltweit über 60 Millionen Menschen.
Endstation Schrottplatz
1922 wurde die Vaterland (unter dem von der US-Marine verliehenen Namen Leviathan) vom Truppentransporter wieder zu einem Passagierschiff umgerüstet und nach amerikanischen Geschmack eingerichtet. Im Dienst der United States Line befuhr die Leviathan bis 1934 den Nordatlantik. Dann lohnte sich der Betrieb angesichts modernerer Schiffe nicht mehr. Das bis dahin größte Dampfschiff der Welt hatte ausgedient und wurde in Schottland verschrottet.

Das folgende Foto zeigt die drei Schiffe der Imperator-Klasse der Hapag nach der Beschlagnahme durch die Vereinigten Staaten bzw. durch Großbritannien. Von links nach rechts): die Leviathan (vorher Vaterland), die Majestic (vorher Bismarck) und die Berengaria (vorher Imperator) im Hafen von Southhampton, England.

Der Imperator musste nach dem Ersten Weltkrieg Großbritannien als Reparationsleistung übergeben werden. Die Cunard-Reederei betrieb das Schiff unter dem Namen RMS Berengaria bis Februar 1938. Das dritte Schiff der Imperator-Klasse war die Bismarck. Die Bismarck wurde 1914 in Hamburg stillgelegt und nach Kriegsende ebenfalls Großbritannien zugesprochen. Nach der Übergabe an die White Star Line wurde sie in Majestic umgetauft. Wie schon die beiden Schwesterschiffe war sie seinerzeit mit 56.551 BRT das größte Schiff der Welt. 1936 wurde die Majestic außer Dienst gestellt.
Reisen damals-Tipp: Das Internationale Maritime Museum in Hamburg Der Bestand des Schifffahrtsmuseums in der Hamburger Speicherstadt umfasst viel Anschauungsmaterial über die Vaterland und andere Passagierdampfer der Hapag. Auf neun Ausstellungsdecks werden 3000 Jahre Schifffahrtsgeschichte mit wertvollen Exponaten, Schiffsmodellen und Gemälden gezeigt. www.internationales-maritimes-museum.de
Bildquellen
- Vaterland2: Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland3: Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland4: National Museum of the U.S. Navy via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland5: National Archives and Records Administration via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland6: National Archives and Records Administration via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland7: Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0
- Vaterland1: Maritime Museum via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0