18. Januar 1912: Der britische Marineoffizier Robert Falcon Scott und seine Kameraden haben nach unendlichen Strapazen den Südpol erreicht – aber sie sind nicht mehr die ersten. Ihr Rivale Roald Amundsen ist ihnen rund einen Monat zuvorgekommen. Am Pol weht jetzt die norwegische Flagge. Angesichts dieser Niederlage verzweifelt und bereits völlig entkräftet, tritt die Gruppe den 1.300 km langen Rückweg zur Basisstation an. Drei Monate später sterben Scott und seine Begleiter an Hunger, Erschöpfung und Unterkühlung in ihrem Zelt, nur ein paar Kilometer von einem Materialdepot entfernt. In seinem Tagebuch macht Scott noch kurz vor seinem Tod die Wetterbedingungen und andere Misslichkeiten für das Scheitern seines Südpolmarsches verantwortlich und attestiert sich und seinen Kameraden „Kühnheit, Ausdauer und Mut“. Eigenes Verschulden erkennt er nicht: „An unserem Unheil trägt nicht mangelhafte Vorbereitung Schuld, sondern Missgeschick.“
Robert Falcon Scott gilt wegen dieses als heroisch empfundenen Überlebenskampfes als Held, der weltweit Bewunderung genießt und dessen Schicksal bis heute die Herzen anrührt. Die Heldenverehrung Scotts begann erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts einer differenzierteren Betrachtung zu weichen. Scott muss wohl ein schwieriger Zeitgenosse gewesen sein. Scheitern war in seinem Mindset nicht vorgesehen.
„Pfuscherei und Starrsinn“
1966 wurde in einer Biografie dem Polarforscher erstmals persönliches Fehlverhalten vorgeworfen. Von da an sind fast ausschließlich negative Enthüllungen über Scott bekannt geworden: „niederschmetternde Beweise von Pfuscherei“, „planlose und fehlerhafte Expeditionsvorbereitung“, „Egomanie und Eitelkeit“, „Führungsstil ohne Weitblick“ – alles authentische Zitate von Zeitzeugen, Wissenschaftlern und Forschern. Von der Eigenverantwortung für die Katastrophe kann demnach Robert Scott nicht freigesprochen werden. Seinem Ruhm tat dies allerdings keinen Abbruch. Während sich die meisten nicht an den Sieger des Wettlaufs zum Südpol, Roald Amundsen, erinnern, leben Scott und seine Begleiter wegen ihres tragischen Schicksals in der Erinnerung weiter.
Hauptsächlich werden in den Berichten folgende Fehler und Versäumnisse erwähnt:
- Scott und seine Mannschaft verfügten über keine nennenswerten Erfahrungen zum Überleben in polaren Regionen. Niemand kannte sich mit den mitgeführten Schlittenhunden und Skiern aus. Er verwendete kaum Zeit, sich und seine Männer auf ihre kommenden Aufgaben vorzubereiten und die Ausrüstung hinreichend zu testen.
- Scott setzte bei der Wahl der Transportmittel hauptsächlich auf Ponys, Motorschlitten und auf das kräftezehrende Ziehen von Transportschlitten zu Fuß. Weder die Ponys noch die Motorschlitten waren, wie Scott vorausgesagt worden war, den antarktischen Bedingungen gewachsen. Alle Ratschläge, die mehr Hunde als unersetzliche Zugtiere empfahlen, schlug er aus.
- Das letzte Materialdepot errichtete Scott weiter nördlich als ursprünglich geplant, trotz Warnung seines Begleiters: „Sir, ich fürchte, Sie werden es bereuen, meinen Rat nicht angenommen zu haben.“ Die ursprünglich vorgesehene Position hatten die Männer auf ihrem Rückmarsch bereits überschritten. Das lebensrettende Depot erreichten sie nicht mehr.
Hauptursachen für die fatalen Fehler waren Scotts blinder Ehrgeiz, Starrsinn und Überheblichkeit. Charakterliche Schwächen wie diese können Freundschaften, Ehen und Karrieren zerstören und, wie im Falle von Robert F. Scott, auch Leben. Moderne Abenteurer wie der Survivalexperte Rüdiger Nehberg oder der Bergsteiger Reinhold Messner würden vermutlich abstreiten, dass ihre Wüsten-, Dschungel- oder Gipfelexpeditionen die Art von Abenteuerreisen darstellten, deren Ausgang höchst ungewiss ist. Sie sind exzellent vorbereitet und überlassen nichts dem Zufall. Scheint ihnen das Restrisiko zu groß zu sein, blasen sie ihr Vorhaben ab.
Reisen damals-Tipp: Be prepared! Ein banaler Rat? Nein! Ob Wattwanderung, Klettertour, Segeltörn oder Wüstensafari – mit der Natur ist nicht zu spaßen. Auch scheinbar harmlose Urlaubsvergnügungen können durch Leichtsinn und Selbstüberschätzung schnell zu einer Frage von Leben und Tod werden. (Allein im ersten Halbjahr 2021 gab es in den bayrischen Alpen dreißig tödliche Bergunfälle!) Das ist die Lehre, die jeder Freizeitabenteurer aus dem Schicksal von Robert F. Scott ziehen sollte.
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