Erstes Flugzeug am Himmel

Gebührt den Brüdern Wright der Ruhm des ersten Motorflugs?

Es war nur kleiner Hüpfer dicht über dem Erdboden, aber ein großer Schritt zur Eroberung des Luftraums: Wilbur Wright und seinem Bruder Orville glückte am 17. Dezember 1903 mit ihrem Flyer I in den Dünen von Kitty Hawk im US-Bundesstaat North Carolina der erste dokumentierte (!) Motorflug. Orville legte in 12 Sekunden 37 Meter zurück, Wilbur etwas später in 59 Sekunden 260 Meter. Angetrieben wurde der Flyer I von einem Benzinmotor mit zwölf PS.

Vierundzwanzig Jahre später flog Charles Lindbergh nonstop von New York nach Paris. Und 1949 stieg in England das weltweit erste Passagierflugzeug mit Düsentriebwerken in den Himmel. Das Reisen über den Wolken war innerhalb von fünfzig Jahren zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Erstes Motorflugzeug in der Wüste
Kolorierte Aufnahme vom ersten motorisierten Flug (1903). Orville Wright steuert das Flugzeug im Liegen, sein Bruder Wilbur (rechts) hat ihm beim Start assistiert.

Nach jahrelangem Tüfteln gelang es den beiden Fahrradkonstrukteuren Wilbur und Orville Wright ein Fluggerät zu bauen, das unabhängig von Wind gesteuert werden kann. Erst waren es „Flugdrachen“, für die die Gleitflieger Otto Lilienthals als Vorbild dienten, dann motorisierte Doppeldecker-Gleiter, die eine Person tragen konnten. Ihre Meisterleistung war dabei die Erfindung des Querruders, mit dem sie ihre Flugmaschinen in der Luft stabil halten und in alle Richtungen drehen lassen konnten.

Mann liegend im ersten Flugzeug
Wilbur Wright über den Kitty Hawk Hills, North Carolina, in der Pilotenposition (1903

Zwei Jahre nach den ersten Hopsern gelangen bereits Flüge über vierzig Kilometer und – 1908 – über zweieinhalb Stunden. Angesichts wachsender Konkurrenz entschlossen sich die Brüder Wright mit ihren verbesserten Modellen spektakuläre Demonstrationsflüge inner- und außerhalb der Vereinigten Staaten zu machen, die der Vermarktung dienen sollten. So auch in Deutschland: Zwei Wochen lang führte Orville täglich vor insgesamt 350.000 Zuschauern Schauflüge über dem Tempelhofer Feld in Berlin durch. Die 1909 gegründete deutsche „Flugmaschine Wright GmbH“ baute bereits im ersten Geschäftsjahr zweiundzwanzig Flugzeuge in Lizenz und wurde in den folgenden Jahren zur erfolgreichsten Wright-Flugzeugfabrikbis das Unternehmen dem Druck französischer und deutscher Wettbewerber mit ihren technisch leistungsfähigeren Flugzeugen nicht mehr standhalten konnte.

Erstes Flugzeug am Himmel
Wright Flyer Modell A (1908)

Orville und Wilbur Wright gelten mit Recht als Pioniere, die 1903 die Ära des Fliegens mit Maschinen „schwerer als Luft“ eingeläutet haben. (Zeppeline, „leichter als Luft“, waren am Himmel schon vor der Jahrhundertwende zu bestaunen.) Aber waren die Brüder wirklich die ersten Menschen, die motorisiert geflogen sind? Die Hinweise, dass der aus Franken stammende Deutschamerikaner Gustav Weißkopf („Gustave Whitehead“) bereits 1899 einen Motorflug durchgeführt haben könnte, sind nicht von der Hand zu weisen.

Das Rätsel um den Flug von Nr. 21

Es gibt zahlreiche Augenzeugenberichte und Zeitungsmeldungen aus dem Jahr 1901, die einen Flug von Weißkopf mit seiner „Flugmaschine Nr. 21“ am Strand von Bridgeport im US-Staat Connecticut detailliert schildern. Nur existiert kein einziges Foto, das diesen Flug beweist. Auch von einem angeblichen zweiten Flug im Frühjahr 1902 fehlen „wegen des schlechten Wetters“ (Weißkopf) Fotos. Und danach schaffte es Gustav Weißkopf nicht mehr, seine vermeintliche Flugleistung zu wiederholen.

Die Konstruktion der Nr. 21 entsprach in der Form den von Otto Lilienthal verwendeten Fluggleitern. Zusätzlich besaß die Flugmaschine eine Art Bootsrumpf, bestückt mit einem selbstgebauten 10-PS-Motor für das Fahrwerk und einem 20-PS-Motor für die beiden Propeller.  

Alte Flugmaschine
Die Flugmaschine Nr. 21. Rechts: Weißkopf mit seiner Tochter (1901)

Um die Zweifel heutiger Luftfahrtsachverständiger an der Flugfähigkeit von Nr. 21 zu beseitigen, hat die „Flughistorische Forschungsgemeinschaft Gustav Weißkopf“ (FFGW) 1998 mit einem

Nachbau der Flugmaschine von Weißkopf in der Nähe seines Geburtsortes Leutershausen in Bayern einen Flugversuch unternommen. Und zwar mit Erfolg! Es ist also nicht auszuschließen, dass der Ruhm des ersten Motorflugs tatsächlich Weißkopf gebührt. Auch in einer ZDF-Dokumentation von 2016 wurde diese These vertreten. Wie auch immer – an der historischen Bedeutung der Brüder Wright für die Entwicklung des Motorflugs ändert das alles nichts.

Im Mai 1912 erkrankte Wilbur Wright an Typhus und starb kurze Zeit später im Alter von nur 45 Jahren. Sein Bruder Orville lebte noch bis 1948. Er wurde 77 Jahre. Er verfolgte noch die unglaubliche Entwicklung der Flugzeugtechnik, hatte aber selbst keinen Anteil mehr daran. Unvergessen bleibt die geniale Erfindungsgabe der Brüder Wright. So ermöglicht bis heute das von ihnen entwickelte Querruder-Prinzip, dass Flugzeuge kontrolliert fliegen können.

Der Flug von Flyer I zu den Sternen

1969 wurde Wilbur und Orville Wright eine besondere Ehrung zuteil. Auf dem Flug von Apollo 11 zum Mond hatte Neil Armstrong einen Splitter vom Holzpropeller und ein Stoffteil der Bespannung des Flyers I von 1903 dabei. Und auch auf der Marsmission von 2020 enthielt die Helikopterdrohne Ingenuity ein Stück vom Stoff dieser ersten Flugmaschine der Welt.

Porträts der Gebrüder Wright
Wilbur Wright (links) und Orville Wright (ca. 1905)
Reisen damals-Museumstipp: der Wright Flyer im Deutschen Museum
Im Deutschen Museum in München ist das Originalflugzeug zu sehen, mit dem Orville Wright 1909 Flugrunden über dem Tempelhofer Feld gedreht hat. Die zweisitzige Serienausführung des Ur-Flyers wurde 1912 in Berlin in der Allgemeinen Luftfahrzeug-Ausstellung gezeigt und anschließend dem Deutschen Museum überlassen.
www.deutsches-museum.de

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert