Drei Personen in historischer Kleidung liegen in einem schlichten Holzlagerraum auf Holzpritschen und ruhen sich aus.

Im Zwischendeck: Friedrich Gerstäckers Reise nach New York

Der spätere Autor von Abenteuerromanen Friedrich Gerstäcker ist einer von Millionen Deutschen, die im 19. Jahrhundert aus wirtschaftlicher Not Deutschland verließen. Bei dem jungen Friedrich war es wohl auch die Abenteuerlust, die ihn 1837 bewog, die Fahrt über den Atlantik zu wagen. Die Reise auf den Segelschiffen dauerte damals sechs bis zehn Wochen, und nur für die Passagiere, die sich eine Kajüte leisten konnten, war die Reise einigermaßen erträglich. Im Zwischendeck herrschten dagegen erbärmliche Zustände. Zusammengepfercht wie die Heringe, litten die Auswanderer in den dunklen Verließen unter unerträglichem Gestank, Seekrankheit, Ungeziefern, karger, manchmal verdorbener Kost und der Furcht vor Infektionskrankheiten, die für nicht wenige tödlich endeten. Und manchem der frühen Schiffe wurden heftige Stürme zum Verhängnis. Ohne Schwimmwesten oder genügend Rettungsbooten drohte den Passagieren der Tod im Meer. An Deck durften sie nur, wenn das Wetter und der Kapitän es erlaubten. Erst mit dem Aufkommen der Dampfschiffe ab etwa 1850 wurden die Überfahrten zu fernen Kontinenten nach und nach sicherer, schneller und komfortabler. Um 1870 dauerte die Passage auf der Nordatlantikroute nur noch zehn bis vierzehn Tage.

Schwarz-Weiß-Darstellung einer historischen Szene, in der zahlreiche Menschen auf einem Schiff an Bord gehen. Die Menschen tragen Kleidung aus dem 19. Jahrhundert. Sie gehen auf eine Auswanderungsreise.
Deutsche Emigranten gehen an Bord (um 1850)

Am 16. Mai 1837 bestieg der 21-jährige Friedrich Gerstäcker in Bremerhaven das Auswandererschiff Constitution. Auf der Überfahrt nach New York führte er ein Tagebuch, das er nach der Ankunft an seine Mutter zurückschicken ließ.

64 Tage auf dem Meer  

16. Mai: Die Constitution ist ein schöner dreimastiger Schnellsegler, der bestimmt ist, uns einem neuen Vaterlande entgegenzuführen! Wenn der Wind günstig ist, werden wir bald und glücklich in Amerika landen können. Ich will Dir nun die Verwirrung beschreiben, die jetzt an Bord begann: Die eine Hälfte der Auswanderer hatte schon zwei Tage früher an Bord gedurft und konnte sich dadurch besser und bequemer im Zwischendeck einrichten als wir, die wir uns nun noch einklemmen mussten. Stelle Dir bitte einen Raum von zehn mal acht Meter und zwei Meter Höhe vor, vollgestellt mit Kisten und Koffern und mit doppelstöckigen Schlafkojen für hundert Auswanderer. Denke nun an ihre Ausdünstung, an das Lachen, Toben, Übergeben, Kinderschreien usw., und Du wirst dann ein ziemlich getreues Bild von diesem Raum haben.

19. Mai: Morgens um zwei wurden die Anker gelichtet, und dann ging’s hinaus in die offene See … Wir quetschen uns zu fünft in einer Koje. Meine Bettgenossen sind ein Tischlermeister, ein Apotheker und zwei Bekannte aus Braunschweig. Das Schaukeln wurde nun heftiger, und es war bei Gott ein amüsantes Vergnügen die armen Seekranken zu beobachten. Ich selbst blieb bis jetzt noch verschont davon.

21. Mai: Es regnete heute, was vom lieben Himmel herunter wollte. Bei solchem Wetter ist es nun wahrlich eine Höllenqual, Bewohner des lieblichen Zwischendecks zu sein, denn wenn das Wetter zu arg wird, kann man es unmöglich auf dem Verdeck aushalten.

22. Mai: Heute war ein stürmischer Tag. Als ich morgens aufwachte, tönten mir polternde und kullernde Töne ins Ohr, und nur zu bald überzeugte ich mich davon, dass wieder eine „allgemeine Brecherei“ ausgebrochen war.

Historische Schwarz-Weiß-Darstellung einer belebten Schiffsunterkunft, in der zahlreiche Menschen verschiedener Altersgruppen auf engen Raum zusammenkommen, um ihre Zeit während der Überfahrt zu verbringen.
Auswanderer auf dem Weg nach Amerika (1850)

30. Mai: Heute brachen auf dem Schiff möglicherweise die Pocken aus, bei einem jungen Mädchen, das aber sogleich abgesperrt wurde. Wir hoffen, dass es nicht weiter ansteckend sein wird. Im allerungünstigsten Fall droht uns eine lange Quarantäne in New York. Mein Gott, wir wollen das Beste hoffen.

31. Mai: Gegen Abend hörte der Regen auf und so ziehe ich mir denn meine Matratze und Decke heraus und schlafe vorne, so sanft und ruhig vom schwankenden Schiff gewiegt wie zu Haus. Das Gurgeln der sich Übergebenden ist meine Serenade.

10. Juni: Der Wind ist etwas stärker und es regnet. Über solche Tage lässt sich nicht viel mehr sagen als „Verdecksnässe und Zwischendeck-Gestank“. Es sind wenige Worte, aber inhaltsschwer.

17. Juni: Sturm! Die Wellen schlagen mit solcher Gewalt über das Verdeck, dass man im Augenblick durchnässt wurde. Ich musste ins Zwischendeck. Der Gestank ist kaum auszuhalten. Wenn man die Sachen fortwährend nass hat, faulen sie wahrhaftig auf dem Leibe.

27. Juni: Läuse im Zwischendeck! Zwar noch nicht bei uns, aber doch in der Nähe.

29. Juni: Wir haben noch nicht einmal dreiviertel unseres Weges zurückgelegt, obgleich wir schon vierzig Tage auf See sind.

12. bis 15. Juli: Wenn wir noch lange auf dem Schiff bleiben, werden wir verrückt. Gelbe Erbsen, weiße Bohnen, angebrannter Reis, Speck, salziges Fleisch – Flöhe.

18. Juli: „Land!“, donnerte es. Ich sprang hinauf in den Mast, und dann trat immer deutlicher ein schwacher blauer Streifen über dem dunklen Horizont hervor. Wie aus einem holländischen Käse die Maden, so krochen aus dem engen Eingangsloch jetzt die schlaftrunkenen Passagiere eilfertig hervor. Bald waren schon die Spitzen der Berge deutlich zu erkennen.

Historisches Gemälde zeigt viele Menschen in bunter Kleidung, die sich an einem Hafen versammeln, um an Bord eines großen Segelschiffs zu gehen. Das Schiff ist mit Segeln und Takelagen ausgestattet.
Der Hafen von New York (Castle Garden), 1847

19. Juli:  Long Island lag vor uns. Um elf Uhr sahen wir einen kleinen Schoner auf uns zufahren. Es war der Lotse, und neues Leben kam an Bord. Klarer und klarer wurde das Land, und um vier Uhr nachmittags lag die Küste Amerikas in ihrer ganzen Pracht vor unseren Augen … Endlich warfen wir in New York Anker. Kaum lag das Schiff still, als auch schon ein Doktor kam, um uns zu untersuchen. Trotz einer sechseckigen Brille merkte er nichts von Blattern und Pocken. Mit einem „All well“ verließ er uns bald wieder.

20. Juli: Gegen Mittag wurden wir mit unseren Siebensachen zu einem Blockhaus geführt. Alle Koffer und Kisten wurden hier durchsucht, teils nach steuerpflichtigen Sachen, teils nach schmutziger Wäsche, die nicht nach New York eingeführt werden darf. Wir lagen nun hier für eine Nacht auf dem Quarantäne-Kai, ohne Betten und ohne Essen.

21 Juli: Endlich! Meine vier Genossen und ich fuhren für einen Vierteldollar mit dem Steamboat in einer halben Stunde nach New York. So sind wir denn nun in Amerika, der langersehnten neuen Heimat. Wie es nun weiter werden soll, da muss der liebe Gott noch ein wenig mithelfen.

Quelle: Auszüge aus Gerstäckers „Brieftagebuch einer Überfahrt im Zwischendeck 1837“, Hrsg. Stiftung Deutsches Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven.

Ein rastlos schreibender Abenteurer 

Friedrich Gerstäcker durchstreifte unter anderem als Heizer, Matrose, Jäger, Farmer, Koch und Holzfäller sechs Jahre Amerika. „Ich habe jahrelang in großen Städten von Komfort umgeben und ebenso von Wildfleisch oder einem alten Kakadu gelebt. Ich bin Gast von gekrönten Häuptern und Feuermann auf einem Mississippi-Dampfer gewesen, aber ich war stets frei und unabhängig wie der Vogel in der Luft“, beschreibt er in seinen Erinnerungen sein abenteuerliches Leben in den Vereinigten Staaten. 1845, nach einer Rückkehr nach Deutschland, verfasste er eine Reihe von Romanen, die in Nordamerika spielen. Geldsorgen musste er sich ab dann nicht mehr machen. Insbesondere „Die Regulatoren in Arkansas“ und „Die Flusspiraten des Mississippi“ zählen bis heute zu den Klassikern spannender Abenteuerliteratur. Einer seiner fleißigsten Leser war übrigens Karl May, der für seine Wild-West-Romane ganze Abschnitte aus Gerstäckers Büchern abgeschrieben hat.

Friedrich Gerstäcker unternahm immer wieder längere Reisen, die ihn nach Nord- und Lateinamerika, in die Südsee und nach Australien führten. 1872 starb er in Braunschweig im Alter von nur 56 Jahren mitten in den Vorbereitungen für eine Reise nach Asien an einem Schlaganfall.

Porträt eines Mannes mit vollem Bart und lockigem Haar in einem dunklen Anzug und einer Krawatte, um 19. Jahrhundert. Der Mann schaut nach rechts und hat einen ernsten Gesichtsausdruck.
Friedrich Gerstäcker (um 1850)
Reisen damals-Tipp: die Auswandermuseen in Hamburg und Bremerhaven
Das Auswandermuseum BallinStadt Hamburg
In der Ballin-Stadt erleben die Besucher hautnah Ein- und Auswanderungsgeschichte über vier Epochen hinweg. Auf 2.500 qm kann man in drei Hallen die Emigranten des 19. und 20. Jahrhunderts mit all ihren Wünschen und Träumen auf ihrem Weg in eine neue Heimat „virtuell“ begleiten.
www.ballinstadt.de
Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven
Zwischen 1830 und 1874 war Bremerhaven der größte Auswandererhafen Kontinentaleuropas. Das preisgekrönte Erlebnismuseum präsentiert inmitten detailgetreu rekonstruierter Ausstellungsräume und anhand realer Familiengeschichten sowohl die europäische Auswanderung nach Übersee als auch 330 Jahre Einwanderungsgeschichte nach Deutschland.
www.dah-bremerhaven.de

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