Gemälde der Burg Katz mit Blick auf die Loreley am Rhein, umgeben von bewaldeten Hügeln und einem Dorf.

Mythos Rhein: Romantik, Rebstöcke und Ruinen 

Wer heute von Sehnsuchtszielen träumt, dem kommen vielleicht das paradiesische Tahiti, das magische Bali oder – etwas bescheidener – die griechischen Kykladen in den Sinn. An das Rheintal denken dabei als erstes vermutlich nur wenige. Ganz anders vor zweihundert Jahren: Die Flusslandschaft zwischen Köln und Mainz gehörte damals weltweit zu den populärsten Gegenden des internationalen Fremdenverkehrs. Nur das antike Ägypten konnte da noch mithalten.

Historische Zeichnung von Schloss Stolzenfels am Rhein, umgeben von Bäumen, mit Blick auf den Fluss und ein vorbeifahrendes Schiff.
Burg Stolzenfels. Stahlstich aus dem Baedeker-Reiseführer von 1864

Eine Zeitreise ins Mittelalter

Neben den deutschen Touristen waren es vor allem Engländer, die es an den Mittelrhein zog. Sie wollten dem Lärm der boomenden Städte und der Hektik der zunehmenden Industrialisierung entfliehen und in der Idylle einer anheimelnden Flusslandschaft Erholung und innere Einkehr suchen – Romantik pur eben. Und der geheimnisumwitterte Strom mit den hoch aufragenden Felsstürzen, den Weinbergen und bewaldeten Hängen, den Schlössern, alten Burgen und Kirchen enttäuschte sie nicht. Wie eine Zeitreise ins „gotische“ Mittelalter empfanden die Touristen ihre Rheinfahrt. Die Zahl der Besucher nahm ständig zu, und Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war das Rheintal die größte Fremdenverkehrsregion der Welt.

Historische Zeichnung eines Mannes in eleganter Kleidung und Zylinder, der selbstbewusst auf einer Terrasse steht, im Hintergrund eine Landschaft und ein sitzender Mann.
Karikatur eines englischen Reisenden (1854)

Der Tourismus erobert den Rhein

Allzu strapaziös durfte der Ausflug in die verklärte Romantik bei aller Schwärmerei für die Schönheit der Natur allerdings nicht sein. Geschäftstüchtige Einheimische hatten schnell gelernt, dass ihre Gäste gemütliche Gasthöfe, gutes Essen und Trinken, Aussichtspunkte und bequeme Wege mit genügend Parkbänken zu schätzen wussten. Der „Baedeker“ von 1843 empfahl zwar, die Rheinregion zu erwandern, stieß damit aber bei den meisten auf taube Ohren. Als „anmaßenden, übersättigten Reisepöbel“ bezeichnete Karl Bädeker die Touristen, die „das Land heuschreckenartig überfluten“. Dass er durch seine Reiseempfehlungen wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hatte, übersah er dabei geflissentlich.

Raddampfer (ab 1827) und später die Eisenbahn (ab 1859) ersparten es, die Rheinregion mühsam zu Fuß entdecken zu müssen. Der Zauber des Rheins ließ sich schließlich auch vom Deck eines Dampfschiffs oder vom Vorgarten einer Fachwerkschenke aus entdecken. Mit wohligem Schaudern lauschten dann die Städter bei einem Glas Rheinwein den Märchen und Sagen über menschenfressende Nagetiere (im Binger Mäuseturm) und eine verführerische Jungfrau (auf dem Loreleyfelsen) aus vergangenen Zeiten.

Aquarell eines Flusstals mit steilen Klippen und Bäumen am Ufer, ein Boot mit Personen fährt auf dem Wasser.
Der Loreleyfelsen, 1817. Gemälde des englischen Malers William Turner

Die Entdeckung des romantischen Rheins

Begründer der Rheinromantik waren Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Schriftsteller wie Achim von Arnim, Clemens Brentano und Joseph Eichendorf, die in ihren gefühlsbetonten Geschichten und Gedichten die rheinische Natur- und Kulturlandschaft rühmten und einer breiten Öffentlichkeit nahebrachten. Vielleicht noch größeren Einfluss auf die Mythenbildung hatten die Bilder des „Lichtmalers“ William Turner. Seine auf mehreren Reisen entstandenen Werke zeigen ein romantisch verklärtes Rheintal. Mit der Wirklichkeit nahm er es dabei nicht so genau. So verlegte er kurzerhand auf einigen Bildern den Standort von Burgen und malte den Loreleyfelsen gewaltiger als er ist.

Heinrich Heines vertontes Loreley-„Märchen aus uralten Zeiten“ und Richard Wagners Opernzyklus um den auf dem Grund des Rheins liegenden Nibelungenschatz prägten endgültig das Bild vom romantischen Rhein. Wagners berühmtestes Bühnenwerk beginnt mit der „Rheingold“-Oper, die 1928 werbewirksamer Namensgeber für die neue Eisenbahn zwischen Hoek van Holland und Basel wurde. Für die Strecke entlang des Rheins brauchte der „Rheingold“, gezogen von der legendären Schnellzuglokomotive S3 6, nur zwölfeinhalb Stunden – Luxus inbegriffen.

Schwarz-Weiß-Foto eines luxuriösen Zugabteils mit gepolsterten Sesseln, Tischen und Vorhängen an den Fenstern.
Rheingold-Express, Salonwagen 1. Klasse (um 1930)

Den Fahrgästen der 1.Klasse ersparte der „Rheingold“ den Gang in den Speisewagen: Das Menü wurde an gedeckten Tischen am Platz serviert. Von bequemen Sesseln aus konnten die gut betuchten Reisenden durch die großen Fenster das rheinische Panorama an sich vorbeifliegen lassen.

Werbeplakat der Deutschen Reichsbahn für den Rheingold-Express, zeigt eine Dampflokomotive und die Streckenführung von der Nordsee zu den Alpen.

Mit der beginnenden Weltwirtschaftskrise konnten sich immer weniger Passagiere eine Fahrt mit dem „Rheingold“ leisten. Als nach der Machtübernahme der Nazis auch die englischen Touristen und Geschäftsleute wegblieben, wurde die Zugverbindung eingestellt. Im Sommer 1939 fuhr der Luxuszug zum letzten Mal von der Nordsee in die Schweiz.  

Heute lohnt sich die Fahrt mit der Eisenbahn nicht mehr, wenn man die Flusslandschaft entlang des Rheins genießen will. Der Intercity zwischen Mainz und Köln verschwindet an den schönsten Stellen in den Tunnel, oder die Aussicht ist durch Lärmschutzwände und Hausdächer versperrt. Zum beschaulichen Genießen der Schönheiten des Rheintals eignen sich Flusskreuzfahrten weitaus mehr. Als 1827 das erste Dampfschiff den Rhein befuhr, ahnte wohl niemand, wie schnell sich die Dampfer zum bevorzugten Verkehrsmittel der Touristen entwickeln würden. 1840 zählte man bereits 500 000 Touristen auf den Rheindampfern, zehn Jahre später waren es über eine Million. Der „Baedeker“ von 1843 enthielt bereits praktische Tipps, die Touristen bei einer Rheinreise beherzigen sollten: Bei häufigem Schiffswechsel „sei jede Art von Gepäck hinderlich“ und solle deshalb „nach Köln, Koblenz oder Mainz vorausgesendet“ werden.

2008 rüstete die Reederei KD Köln-Düsseldorfer trotz öffentlicher Proteste den letzten der dampfbetriebenen Schaufelraddampfer, die „Goethe“, nach fast einhundert Jahren auf dieselhydraulichen Antrieb um. Seitdem wird das Schiff für Nostalgiefahrten zwischen Koblenz und Rüdesheim eingesetzt.

Historisches Schwarz-Weiß-Foto eines Dampfschiffs auf dem Rhein, umgeben von kleineren Booten, mit Hügeln und Weinbergen im Hintergrund.
Der Raddampfer „Goethe“ bei Sankt Goarshausen (1924)

Von der Rheinromantik zum Rheintourismus

Eine gastfreundliche Bevölkerung, eine Bilderbuchlandschaft, spektakuläre Sehenswürdigkeiten, und das Ganze verknüpft mit nostalgischen Erzählungen – das ist das Rezept für touristische Hotspots. Die Rheinanwohner haben das schon früh erkannt und umgesetzt. So ist es nicht überraschend, dass das Rheintal heute weltweit zu den tausend Orten zählt, „an denen man gewesen sein muss“. Und mit Recht wurde der Mittelrhein 2002 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Mit der ursprünglichen Rheinromantik ist es allerdings schon lange vorbei.

Gemälde einer geselligen Runde bei einem Fest im Freien, bei Nacht unter Bäumen, mit Blick auf einen Fluss und ein Dorf im Hintergrund.
Sommernacht am Rhein, Genrebild von Christian Eduard Boettcher, 1862

Auch das preu­ßi­sche Kö­nigs­haus war „vom Zau­ber des Rheins er­grif­fen“ und er­war­b Burg­en und Burgruinen fast im Dutzend. Kronprinz Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem preußischen Königsthron“, war von der Rheinlandschaft so begeistert, dass er in den 1840ern Jahren die zerstörte Burg Stolzenfels zu einem mittelalterlichen Rittersitz wieder aufbauen ließ – und damit ein weiteres touristisches Highlight im Rheintal schuf. Sein Bruder, der spätere Kaiser Wilhelm I., thront seit 1897 als gigantisches Reiterstandbild in Koblenz über dem Deutschen Eck, also dort, wo die Mosel in den Rhein mündet. Ein anderes Nationaldenkmal, das Niederwalddenkmal mit der zwölf Meter hohen Germania hoch über Rüdesheim, erinnert seit 1883 an den deutschen Sieg über Frankreich, den ehemaligen „Erbfeind“ des Kaiserreichs.

Werbeplakat für die Zahnrad-Bergbahn in Rüdesheim am Rhein, zeigt eine Frau in traditioneller Kleidung neben einer Bahnstrecke mit Weinreben und einem Bergbahnwaggon.

Ab 1884 führte eine Zahnradbahn durch die Weinberge hoch zur „Hüterin der deutschen Freiheit“ mit dem Reichsschwert in der einen und der Kaiserkrone in der anderen Hand. Heute benutzen die Touristen eine Kabinenbahn, um die Germania zu besuchen. Vermutlich interessiert nicht alle der historische Hintergrund, der zum Bau des Denkmals führte. Faszinierender ist wohl für die meisten der Panoramablick über das Rheintal von dort oben. Unten in der Rüdesheimer Altstadt wartet dann eine weitere Attraktion auf die Besucher – die Drosselgasse.

Die Drosselgasse: Jubel und Trubel, Wein und Gesang

Mit dem Slogan „144 Meter Lebensfreude“ bewirbt Rüdesheim die weltbekannte Drosselgasse. „Ballermann am Rhein“ hätte auch gepasst. Nun ja, ganz so heftig wie in den 1920er Jahren geht es hier nicht mehr zu, als an manchen Tagen sich bis zu 30.000 Besucher durch die Gasse quetschten.

Schwarz-Weiß-Foto einer Gruppe von Menschen vor einem historischen Fachwerkhaus in einer engen, gepflasterten Straße.
Vor dem Drosselhof, 1938

Als erste Gaststätte hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert der „Drosselhof“ mit fröhlichem Rundgesang Gäste ins Lokal gelockt: Junge Studenten sangen sonntags in der Weinstube fleißig Rhein- und Trinklieder und wurden dafür mit Wein entlohnt. Die Rechnung ging auf, und bald tönte aus allen Lokalen der Drosselgasse das Lied „Zu Rüdesheim in der Drosselgass …“ und zog trink- und feierfreudige Gäste in Scharen an. Die Drosselgasse wurde zur Amüsiermeile für Besucher aus Deutschland und der ganzen Welt. Auch in der Zeit des NS-Regimes war die Drosselgasse ein beliebtes Ziel von Ausflügen, organisiert von der nationalsozialistischen Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“. Gefeiert und getanzt wurde weiterhin. Doch als der KdF das ungezügelte fröhliche Treiben zu „undeutsch“ wurde, durfte in den Lokalen nur noch „eine dem deutschen Empfinden entsprechende Musik“ gespielt werden.

In den 50er Jahren setzte der Massentourismus wieder verstärkt ein und machte die Gasse zu einer Art „Reeperbahn des Rheins“. Heute ist es eine Mischung aus Fröhlichkeit, Lebendigkeit, Live-Musik und mediterranem Flair, die die Besucher aus aller Welt in der Drosselgasse beim Wein genießen können. Die alten Rhein-und Trinklieder sind insbesondere zur Freude der vielen Gäste aus Japan und China aber auch noch zu hören.

Farbaufnahme einer belebten, engen Gasse in Rüdesheim, gesäumt von Fachwerkhäusern mit Schildern und Blumen, darunter Drosselhof und Weingarten.
Die Drosselgasse in sonntäglicher Ruhe (2023)
Reisen damals-Ausflugstipp: Eine Zeitreise mit der „Goethe“
Von Bord eines Schiffs aus lässt sich die Schönheit des Rheins am besten genießen. Eine Alternative zu mehrtägigen Kreuzfahrten auf den Luxusdampfern privater Reedereien wie Nicko-Cruises sind Ausflüge mit den Booten der Köln-Düsseldorfer Rheinschifffahrt (KD). So bietet zum Bespiel KD eine Nostalgie-Tour durch das Mittelrheintal mit dem detailgetreu restaurierten Schaufelradschiff „Goethe“ aus dem Jahr 1913 an. Die Tour führt in 3 1/4 Stunden ab Koblenz, vorbei an den Ikonen der Rheinromantik, bis nach Rüdesheim und wieder zurück.
www.nicko-cruises.de
www.k-d.com

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