Astronaut im Weltall

Jurij Gagarins Reise um die Erde in 80 Minuten. Symbol für die touristische Zeitenwende

Kasachstan, 12. April 1961: Um 9.07 Uhr erhebt sich mit ohrenbetäubendem Donnergrollen die Semyorka-Rakete in den Himmel. In der Wostok-Kapsel mit einem Durchmesser von 2,30 Meter fixieren Gurte Gagarin in liegender Haltung auf dem fast waagerechten Sitz. Vor und über seinem Gesicht befinden sich Bullaugen, außer Rauch und Gas kann Gagarin aber nichts erkennen. Die Beschleunigung presst ihn immer stärker in den Sitz. Die Bodenstation empfängt nur noch Stille. Dann, nach wenigen Minuten, ist Gagarin zu hören. „Ich sehe die Erde“, meldet er. „Wie herrlich, ich sehe Wälder, Wolken.“ Die Abtrennung des Raumschiffs von der Rakete war reibungslos verlaufen. Das Raumschiff hat in 327 Kilometern Höhe die Umlaufbahn erreicht, und Schwerelosigkeit setzt ein. Er spürt nicht mehr den Druck der Gurte und sieht, wie sein Bleistift durch die Kapsel schwebt. Unter sich blickt Gagarin auf Kontinente und Ozeane, und durch die Bullaugen strahlen die Sterne heller, als er sie je von der Erde aus wahrgenommen hat. Nach einer Erdumkreisung mit einer Geschwindigkeit von 28.000 km/h bereitet sich Gagarin auf den Eintritt in die Atmosphäre vor. Jurij Gagarins Umrundung der Erde dauerte rund eine Stunde und zwanzig Minuten.

Was für merkwürdige Zufälle manchmal Zahlen spielen: 1871 hatte Jules Verne seinen Roman „Um die Erde in achtzig Tagen“ geschrieben. 1961 umrundete Jurij Gagarin die Erde in achtzig Minuten.

Rakete in Startrampe
Die Semyorka-Rakete, mit der Gagarin in den Weltraum flog
Raumkapsel
Gagarins Raumkapsel Wostok 1

Gagarins bis dahin weiteste und schnellste Reise eines Menschen könnte als eine Art Symbol für das Ende der rund einhundert „goldenen Jahre“ des geruhsamen Reisens angesehen werden. Das Zeitalter des „Hochgeschwindigkeits-Tourismus“ per Flugzeug hatte begonnen.

Der von den neuen superschnellen Verkehrsmitteln der sechziger Jahre vorgegebene Takt dominierte fortan das Reiseverhalten. Wer beispielsweise für die Fahrt von Frankfurt/M. an den Gardasee mit seinem VW-Käfer mehr als zehn Stunden brauchte (natürlich nonstop), galt als Trödler. An die Costa Brava? Nur mit dem Flugzeug! Effizienz war nicht nur in der Arbeit angesagt, sondern auch beim Reisen. Die Jagd nach Geschwindigkeitsrekorden war in vollem Gange.

In drei Stunden nach New York? In fünf Stunden nach Sidney?

Alles schien eines nicht allzu fernen Tages möglich zu sein. Das Überschallflugzeug Concorde und Reiseangebote wie „Europa in neun Tagen“ oder eine „24-tägige Weltreise im Luxus-Jet“ machten aus diesen Zukunftsvisionen Realität. Shoppen in Dubai und Paris, Sightseeing in Thailand, Vietnam und Kambodscha, danach staunen auf den Osterinseln und eine entspannte Zeit auf den Seychellen genießen. Im Anschluss eine Serengeti-Tour in Tansania und als letzter Stopp in den Vulkan-Nationalpark in Ruanda, bevor es wieder nach Hause geht, so preist der Veranstalter seinen „Kreuzflug“ um die Welt an.

Ab Mitte der sechziger Jahre konnten sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung einen Jahresurlaub leisten. Liebste Ziele waren die Strände des Mittelmeeres oder des Schwarzen Meeres. Sonne, Sand und Spaß lockten – und weniger landschaftliche Sehenswürdigkeiten oder das Kulturerbe vergangener Jahrhunderte.

Heute erkennen wir, dass auf allen Kontinenten sich die Natur auf dem Rückzug befindet. Der Ruf nach einem nachhaltigen, ressourcenschonenden Tourismus wird lauter. Aber reicht die Zeit für eine Trendwende noch aus? Jurij Gagarins fast poetische Worte aus dem Orbit klingen wie eine Aufforderung, unseren blauen Planeten vor der Zerstörung zu bewahren.

„Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!“ Gagarin, konnte deutlich Gebirgszüge, ausgedehnte Wälder, Inseln und Küstenstriche erkennen. „Ich sah zum ersten Mal die Umrisse der Erde … die Gefühle, die mich dabei erfüllten, kann ich mit einem Wort umschreiben – Freude.“

Erde von oben
Blick von der ISS – rechts ist die nordafrikanische Küste zu erkennen.

Erinnert nicht Gagarins Staunen über die Schönheit der unter ihm liegenden Erde an Caspar David Friedrichs „Abendliche Landschaft mit zwei Männern“ aus den 1830er Jahren?

Gemälde mit zwei Männern
Caspar David Friedrich „Abendliche Landschaft mit zwei Männern“ (Ausschnitt)

Inspiriert von den Gemälden der Romantik suchten die Bildungsreisenden des 19. Jahrhunderts die Erhabenheit ursprünglicher Landschaften emotional zu spüren. Dafür ließen sie sich viel Zeit. (Die industrielle Revolution und die damit verbundenen sozialen Umbrüche hatten zu einer großen Ehrfurcht vor der „göttlichen, ewigen Natur“ bis hin zu ihrer Glorifizierung geführt.) Was für ein Unterschied zu den „Fotostopps“ auf heutigen Rundreisen, die den Touristen gerade einmal Zeit für ein paar Schnappschüsse lassen, bevor die Fahrt zum nächsten Highlight weitergeht.

Gagarins Flug war ein erster Schritt des Menschen ins Weltall. Dass heute Beobachtungen aus dem Orbit mit Hilfe von Satelliten und Raumstationen dabei helfen, die globalen ökologische Krisen zu erkennen und besser zu bewältigen, haben wir auch ihm zu verdanken. Eile ist angesagt; es gibt keine Ersatzerde.

Gagarins unglückliches Ende

Nachdem er am 12. April 1961 als erster Mensch mit dem Raumschiff „Wostok 1“ die Erde umrundet hatte, gab es bei der Landung unerwartete Probleme: Die Gerätesektion konnte nicht wie geplant von der Raumkapsel getrennt werden, doch Gagarin gelang es, in 7000 Metern Höhe auszusteigen und am Fallschirm sicher zur Erde zurückzukehren. Er setzte wohlbehalten auf einem Acker in der Wolga-Region auf. Doch das Glück blieb ihm nicht hold. Sieben Jahre später kommt Jurij Gagarin beim Absturz eines von ihm selbst gesteuerten Flugzeugs ums Leben. Er wurde 34 Jahre alt.

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