1889, nach dem Selbstmord von Kronprinz Rudolf wurde Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este zum offiziellen Thronfolger ernannt. Seinen großen Wunsch, um die Welt zu reisen, konnte er dank der Fürsprache seiner Tante, Kaiserin Elisabeth, dennoch verwirklichen: „Sisi“ überzeugte Kaiser Franz Joseph davon, dass etwas mehr „Welterfahrung und frische Seeluft“ dem kränkelnden 29jährigen guttun würde. Franz Ferdinand hatte allerdings anderes im Sinn. Ihn trieb nicht Bildungshunger in die Ferne, sondern eine Leidenschaft, die bei ihm schon pathologische Züge hatte. Man kann es nicht anders sagen: Franz Ferdinand war ein durchgeknallter Tierkiller. Im Laufe seines Lebens erlegte er laut seiner penibel geführten Schussliste über eine Viertelmillion Stück Wild. Selbst angesichts der damals in Adelskreisen stark verbreiteten Lust an der Jagd war diese extreme Schießwut ungewöhnlich. Andererseits engagierte sich Franz Ferdinand für den Erhalt der Natur und förderte auf seinen Landgütern ökologische Projekte – er war in jeder Hinsicht eine ambivalente Persönlichkeit.
Am 15. September 1892 stach der Kreuzer SMS Kaiserin Elisabeth mit Franz Ferdinand und einer riesigen Entourage in Triest in See. Mit an Bord waren fünf Jagdfreunde aus dem Hochadel, eine Männerrunde, die wohl mehr an Vergnügungen und der Jagd interessiert war als an Horizonterweiterung.
Die Reise führte ihn zunächst in die Kronkolonie Indien. In Bombay verließen er und seine Gefolgschaft das Schiff und durchquerten Indien streckenweise in einem vom indischen Vizekönig zur Verfügung gestellten Privatzug und auf dem Rücken von Elefanten, immer wieder unterbrochen von Jagdausflügen. Von Kalkutta an der Ostküste aus fuhr Franz Ferdinand, jetzt wieder mit der Kaiserin Elisabeth, über Singapur, Java, Australien, Neuguinea und Borneo nach Japan. Am 17. August 1893 begrüßte ihn in Tokio in Vertretung des japanischen Kaisers Prinz Arisugawa. Alle Minister und Hofwürdenträger waren zur Begrüßung erschienen, eine Ehrenkompagnie intonierte einen Marsch. Das war der einzige offizielle Termin auf der ganzen Reise den Franz Ferdinand als Thronfolger wahrnahm. Ansonsten versuchte er inkognito (Deckname „Graf Hohenberg“) zu reisen, was ihm allerdings angesichts seiner großen Begleitmannschaft nicht immer gelang.
In Yokohama gingen Franz Ferdinand und seine Jagdfreunde an Bord des Passagierdampfers Empress of China, der sie ins kanadische Vancouver brachte. Dort bestiegen sie die Canadian Pacific Railway und bewunderten vom eigenen Waggon die Schönheit der Rocky Mountains mit ihren atemberaubenden Gipfeln, Gletschern und Schluchten. In den USA klapperte Franz Ferdinand die üblichen Sehenswürdigkeiten der touristisch schon weitgehend erschlossenen Vereinigten Staaten ab. Wie fast alle Amerikatouristen besuchte er den Yellowstone-Nationalpark, Chicago, die Niagarafälle und New York, bevor er die Heimreise antrat. Am 18. Oktober 1893 war er wieder in Wien.
War das Ganze wirklich eine klassische Bildungsreise, wie vom Hof deklariert wurde, oder gar eine wissenschaftliche Expedition? Mitnichten. Unter den 14.000 (!) Mitbringseln des Erbprinzen befanden sich zwar auch ethnografische und naturkundliche Sammelstücke, das meiste waren aber, wie er selbst sagte, „nutzlose Dinge“ – billige Holzschnitzereien und sonstige Souvenirs. Seine Sammelwut war augenscheinlich ebenso groß wie seine Schießlust. Dass es Franz Ferdinand in erster Linie um die Befriedigung seiner Jagdlust ging, zeigen seine Tagebuchaufzeichnungen. Ob vom Schiff, von der Eisenbahn oder vom Rücken eines Elefanten oder Pferds aus – alle Tiere, die ihm vor die Flinte kamen, wurden von ihm ins Visier genommen. Tiger, Löwen, Elefanten, Koalas. Stinktiere, Möwen und selbst Delfine erlegte er in großer Zahl.
In China, so steht es in seinem Tagebuch, rauchte Franz Ferdinand Opium, auf den Molukken erkrankte er an Malaria, in Japan ließ er sich einen Drachen auf dem Oberarm tätowieren und in Indien gewann er ein Wettschießen mit einem Maharadscha. Zur lokalen Bevölkerung hatte Franz Ferdinand mit Ausnahme von Jagdhelfern und Dienern kaum Kontakt. Einheimischen begegnete er mit der damals üblichen Verachtung („Die Eingeborenen machen keinen besonders günstigen Eindruck“), mit herablassendem Spott („Die Nasenringe verunstalten, indem sie bis zum Mund herabhängen, das ganze Gesicht, was die Application eines Kusses erheblich erschweren müsste“), aber auch manchmal mit Wohlwollen. So äußerte er für Überfall von australischen Aborigines auf eine Polizeistation Verständnis: Das sei „kein Wunder, wenn man sieht, wie die Eingeborenen von den Weißen behandelt werden.“
1900 heiratete Franz Ferdinand seine große Liebe Sophie von Hohenberg. Vierzehn Jahre später, am 28. Juni 1914 um 11 Uhr 15, erschoss in Sarajewo ein bosnisch-serbischer Nationalist den Thronfolger und seine Frau. Über Europa wurde es Nacht.
Reisen damals-Lesetipp: Franz Ferdinands Tagebuch seiner Reise um die Erde
Das Reisetagebuch, herausgegeben und kommentiert von Frank Gerbert, erschien im K & S Verlag, Wien (2013). 288 Seiten, 24,00 €. Ergänzt wird das Buch mit etwa 50 Original-Fotografien, die auf der Weltreise aufgenommen wurden.
Bildquellen
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- Franz-Ferdinand1: Austrian National Library via Wikimedia Commons | Public Domain Mark 1.0